„Ohnmacht“ lautet die emotionale Formel, auf die der Abend zu bringen sei, sagt Annika Schilling. Zu Beginn von „Oh wie schön ist Panama Malta“ hatte die Bonner Schauspielerin bereits gewarnt, dass alle Fakten bekannt seien und man nur „relevanten Dingen einen Raum geben wolle“. Lange nicht war ein Abend derart rezeptionsästhetisch abgefedert. Annika Schilling spielt Laura, eine journalistische Wadenbeißerin aus Passion, deren Chef sie mit einem Auftrag überrascht – verpackt in Dutzenden von Kartons: Die Panama –, äh Malta-Papers. Genau. Das waren diese unendlichen Stapel an Papier, die von Scheinfirmen, Steuertricks und einem Rechtsanwaltsbüro in dem mittelamerikanischen Land handelten. Auf der kleinen Mittelmeer-Insel geht es allerdings auch nicht besser zu; das fanden Wuppertaler Steuerfander heraus, die 2017 von einem Whistleblower einen Stick zugespielt bekamen. Aus diesem Material hat sich der Bonner Hausregisseur Simon Solberg einen „Recherchethriller“ zusammengestrickt.
Die erfundene Journalistin Laura hockt also zwischen den Papierbergen und versucht sich einen Reim auf das Chaos zu machen. Sie reist nach Malta und trifft die historisch verbürgte Kollegin Daphne Caruana Galizia, die die Verstrickung des maltesischen Präsidenten offengelegt hat und einem Autobomben-Attentat zum Opfer fiel. Der Abend in der kleinen Werkstatt ähnelt allerdings weniger einem Thriller. Kann auch gar nicht sein, schließlich hat man das alles schon mal gehört. Solberg macht daraus eine sarkastische Revue, die jeden Ermittlungsschritt von Laura als neue Nummer präsentiert. Und die Nummerngirls sind alle männlich, kommen aus unterschiedlichen europäischen Ländern und präsentieren mit großer Inbrunst ihr Steuerhinterziehungs- oder Korruptionsmodell. Maltas berühmtes Geschäft mit dem Verkauf von Pässen vulgo Staatsbürgerschaften zum Beispiel ermöglichte es Russen, Chinesen oder Iranern EU-Einreiseverbote zu umgehen. Da erfährt man, wie man als Präsident gewinnbringend sein Vermögen in der Schweiz anlegen kann. Unternehmen wie zum Beispiel Fraport, also der Frankfurter Flughafen, verfügen hingegen über mehrere Tochterfirmen mitten im Mittelmeer, die 5 Prozent Unternehmenssteuern sparen helfen. Dass es sich dabei um ein „steuervermeidendes“ Unternehmen der öffentlichen Hand handelt – wer wollte da kleinlich sein.
Selbstverständlich hat auch Jean-Claude Junker seinen Auftritt, der Luxemburg zum zur Steueroase ausgebaut hat. Und auch die niederländischen und deutschen „Showgirls“ haben Abzockvarianten parat. Jeder Act ist durch Recherche beglaubigt. Und damit man trotzdem ein wenig mitfiebert, ist zwischendurch immer wieder die Simulation einer journalistischen Suchbewegung eingebaut. Angesichts der komplexen Sachverhalte ist das höchst unterhaltsam und leichtfüßig gemacht. Es wird ironisch mit allen möglichen ländertypischen Klischees gespielt, auch die Journalisten-Rabenmutter und der daheim gebliebene Partner samt Söhnchen darf nicht fehlen. Viel Skandal – viel Unterhaltung – Ohnmachtsgefühle sind trotzdem garantiert.
„Oh wie schön ist Panama Malta“ | R: Simon Solberg | So 26.5., Fr 14.6. 20 Uhr | Theater Bonn | 0228 77 80 08
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