Kann man das Böse tanzen? Christoph Winkler versucht, das Böse im Charakter des Terroristen Andreas Baader sichtbar zu machen. Ein komplexes Unterfangen, dessen Realisierung Martin Hansen mit einer solch überzeugenden Akribie anging, dass er für „Baader – Choreographie einer Radikalisierung“ zum Tänzer des Jahres gekürt wurde. Das 4. Internationale Bonner Tanzsolofestival zeigt dieses dunkle Juwel in seiner neuen Ausgabe. Während in Köln fast jeden Monat ein internationales Festival veranstaltet wird, ist dieses feine Festival inzwischen das einzige internationale Festival im Bereich der Darstellenden Künste, das die ehemalige Bundeshauptstadt ihren Bürgern noch zu bieten hat. In Deutschland ist es ohne Vergleich, deshalb erweist sich das von Rainald Endraß und Cocoon Dance veranstaltete Festival auch als eine Art Seismograph künstlerischer Entwicklung. Wer das Andere sehen will, dem bietet sich hier reichlich Gelegenheit. Etwa beim Blick auf den Spanier Juan Luis, der mit seiner „Sad Dance Therapy“ Glücksgefühle herbeitanzen möchte. Luis macht sich lustig über die gutwilligen Therapieansätze, deren Erfolgsversprechen nur zu gerne von verwöhnungsbedürftigen Patienten geglaubt werden. Juan Luis besitzt als Tanz- und Musik-Alleinunterhalter denn auch schon fast so etwas wie eine Gemeinde.
Gerne hat sich das Festival in der Vergangenheit Aufmerksamkeit mit überraschenden Aktionen in der Stadt gesichert. Soli sind mit geringem Aufwand schnell zu organisieren, und so konnte man sich morgens die Augen reiben und Tanz im Waschsalon, abends im Kino und zwischendurch im Trubel des öffentlichen Nahverkehrs als kunstvolles Moment des Alltags erleben. Aus den Bewegungen, die der Mensch in seinem Alltag verrichtet, bezog der Tanz schon immer Inspiration. Gut, wenn die Kreativität also in diesem Jahr wieder dorthin zurückkehrt.
Gekontert werden die öffentlichen Auftritte von Valenti Rocamora i Toro und seinem Projekt „Meine Stille“, das der ehemalige Ensemble-Tänzer von Johann Kresnik als Erkenntnisinstrument anlegt, mit dem sich das Phänomen des Solo-Auftritts betrachten lässt. Das Publikumsgespräch ist für ihn daher eine Selbstverständlichkeit. Einen köstlichen Spaß für Kenner und Liebhaber der Tanzkunst hält Christian Duarte mit „The Hot One Hundred Choreographers“ bereit. Der Brasilianer macht sich über unsere Lust her, von allem, was einem gut gefällt, Listen zu erstellen. Die Bürokratie des Begehrens demonstriert er an seinem eigenen Körper, indem er zeigt, wie sich berühmte Tanzstücke und ästhetische Stilrichtungen in ihn eingeschrieben haben. Alle Aufmerksamkeit dem männlichen Körper, der auf den Tanzbühnen unserer Tage eher die Grundierung für den weiblichen Körper bildet.
Die Tänzer setzen sich auf besondere Weise dem Blick ihres Publikums aus. Einem Solo-Tänzer geht es wie einem Kammermusiker: Wo die Nähe zum Publikum so direkt ist, fällt der kleinste Schnitzer ins Gewicht. Dass sich ein erfolgreiches Festival der Fortsetzung erfreuen darf, ist in NRW spätestens seit dem Skandal um die Streichungs-Gerüchte, die das Festival IMPULSE betreffen, keine Selbstverständlichkeit mehr. Auch deshalb ist es erfreulich, dass für das nächste Festival schon grünes Licht aus Düsseldorf kam, und das nächste Mal allein den Frauen die Bühne gehören wird.
„4. Internationales Bonner Tanzsolo-Festival“ | 18.1. bis 2.2. | Theater Brotfabrik, theaterimballsaal Bonn | www.bonn-dance.net
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