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Ensemblemitglieder Allen Knipping (v.) und Josef Hofmann
Foto: Martin Rottenkolber

Fremd im eigenen Körper

05. Februar 2020

Musiktheater „Jeder:Jederzeit“ von A.Tonal.Theater – Bühne 02/20

Eine Hand auf dem Rücken, die andere am Arm. So holt das Ensemble des performativen Stücks „Jeder:Jederzeit“ das Publikum vor dem Theatereingang der Alten Feuerwache ab. Jeder wird einzeln über die Bühne zu seinem Platz geführt, steht kurz im Mittelpunkt, bevor er einen zufälligen Platz zugewiesen bekommt. Man kennt seine Sitznachbarn nicht und auch nicht die Menschen, die einen bis hierher begleitet haben, doch irgendwie fühlt man sich als Teil einer Gemeinschaft. Fast jeder Neuankömmling lächelt. Schon der Eintritt gehört zur Performance, man hört den mystischen Klang von Posaune und Percussion, Schlagzeug, Becken und Xylophon.

Das Stück ist eine Produktion des A.Tonal.Theaters, ein Produktionsteam für zeitgenössische Kunst, das seit 2002 besteht und Gründungsmitglied des Kölner Ensemblenetzwerks Freihandelszone ist. Regisseur Jörg Fürst behandelt in seinen aktuellen Projekten vor allem die Frage nach Identität im Hinblick auf die Globalisierung. In „Jeder:Jederzeit“ geht er gemeinsam mit dem A.Tonal-Team auf die Frage ein, was eigentlich der Punkt ist, an dem wir uns als Menschen selbst am fremdesten sind. Seine Antwort: „Unsere Vergänglichkeit“.

Ein Gesellschaftsquerschnitt

Im Ensemble aus Profis und Laien befinden sich junge und alte Männer und Frauen, jene mit und ohne Beeinträchtigung. Sie alle beschäftigt ihr Selbst in Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart. Das Musiktheater ist assoziativ, nacheinander berichten die Akteure einzeln oder in der Gruppe über ihre Erfahrungen mit dem Alter, erschaffen Metaphern von einem Boot, in dem sie gemeinsam durch das Meer treiben oder einem idyllischen Garten, der an das Paradies erinnert. Das Stück hinterfragt den Identitätsbegriff von Menschen verschiedenen Alters und Herkunft und geht dabei im Besonderen auf die Vergänglichkeit und den langsamen Verfall des Körpers ein.

Vor allem das Licht und die mystischen Klänge von Pía Miranda (Posaune & Gesang) und Ruhrpreisträger Peter Eisold (Schlagzeug & Elektronik) tragen dazu bei, die verschiedenen Sprachbilder der Akteure zu stärken. Mal ist alles harmonisch und ruhig, ein anderes Mal donnern die Trommeln. Auch das labyrinthartige Bühnenbild fügt sich stark in die Performance ein. Immer wieder spiegeln Bilder auf den durchsichtigen Vorhängen, bspw. ein schmelzendes Eis, die Auseinandersetzung mit dem eigenen Verfall. „Ich bin 80, aber ich fühle mich nicht alt", erzählt ein Mann, ein Mädchen sinniert über Endlichkeit im Weltraum und im Sprechgesang murmeln sie: „Manchmal muss ich mich echt über mich wundern.“

Foto: Jürgen Brinkmann

Körper untrennbar mit Seele verbunden?

Die Message des Stücks wird schnell deutlich: Ist die menschliche Seele eins mit dem Körper oder ist der Körper nur ein Raum, in den wir unsere Erinnerungen legen? Besonders deutlich wird dies durch Spotlights und helles Licht von oben. Die Augen sind nicht zu sehen, die Körper wirken wie leere Hüllen. Die Geschichten zeigen, dass Sterben kein Indikator für das Altsein ist. Jeden kann es jederzeit aus dem Leben reißen. Auch wenn die einzelnen Geschichten durchaus interessant sind und insbesondere der Beginn große Erwartungen geschaffen hat, bietet das Theater nach einer Weile nicht mehr genügend neue Erkenntnisse.

Glücklicherweise hält das Ende noch eine Überraschung bereit, die nicht nur durch Darbietung der Akteure und der Musik, sondern auch durch plastikdominierte Kostüme eine weitere Botschaft sendet: Genieße dein Leben, denn es ist endlich. Aber sei dir auch bewusst, dass nach dir andere kommen – ein sehr starkes Abschlussplädoyer für eine nachhaltige und bewusste Gesellschaft. Trotz Längen im Mittelteil ist das Musiktheater „Jeder:Jederzeit“ eine spannende Herangehensweise an das Thema „Vergänglichkeit“ – vor allem für Fans des performativen Theaters.

„Jeder:Jederzeit“ | R: Jörg Fürst | Fr 20.3., Sa 21.3. 19.30 Uhr; So 22.3. 16 Uhr; Do 26.3., Fr 27.3., Sa 28.3. je 19 Uhr; So 29.3. 18 Uhr | Alte Feuerwache Köln | 0221 985 45 30

MATHIS BESTE

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