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Gesetz und Zufall

27. Juni 2023

Intro – Geld oder leben

Der Markt belohnt Leistung. Dieses Credo hat gehörig an Überzeugungskraft eingebüßt. Endlich! Denn Leistung gewährleistet keineswegs ein Leben ohne materielle Existenzängste. Gewiss, die Mittelschicht macht mehr als die Hälfte von Deutschlands Bevölkerung aus, geht meist zumutbarer Arbeit nach, bildet Vermögen und fährt regelmäßig in Urlaub. Dennoch weitet sich die Kluft zwischen Arm und Reich, und wer aus der Mittelschicht abrutscht oder von unten kommt, hat es unverhältnismäßig schwer, (wieder) aufzusteigen. Dazu beigetragen haben Niedriglohnsektoren, Entmachtung von Gewerkschaften sowie Steuergesetze, die Vermögen und Finanzmärkte bevorzugen, Erwerbsarbeit hingegen benachteiligen. So häufen manche bizarre Vermögen an, während immer mehr Menschen ob aller Mühen kaum auf einen grünen Zweig kommen. Im Monatsthema GELD ODER LEBEN fragen wir, was das bedeutet für Finanzpolitik, Grundbedürfnisse und gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Unsere Leitartikel klagen an, dass die Politik nichts getan hat, um auszuschließen, dass nach der Finanzkrise von 2008 erneut Bürger für Banken und Konzerne haften, dass sich immer mehr Menschen keine angemessene Wohnung leisten können und dass Arbeitsleistung und Einkommen krass voneinander entkoppelt sind.

In unseren Interviews zweifelt der Wirtschafts-Podcaster Ole Nymoen daran, dass ein Staat sich um Unternehmen bemühen muss, der Kartoffelkombinat-Mitgründer Simon Scholl plädiert dafür, Umweltschutz und Solidarität nicht dem Markt zu überlassen und die Soziologin Dorothee Spannagel erklärt, warum viele Menschen sich nicht aus der Armut befreien können.

In Köln erfahren wir am Finanzwissenschaftlichen Forschungsinstitut an der Uni (FiFo), wie es sich für eine vorausschauende Politik einsetzt, in Bochum beimGemeinnützigen Wohnungsverein (GWV), was genossenschaftliches Wohnen auszeichnet und an der Uni Wuppertal wie der Sozialpädagoge Fabian Kessl die Folgen von Armut erforscht.

Die Öffentlichkeit haftet für unternehmerisches Versagen. Wie es andererseits zugehen kann, wenn sie an unternehmerischen„Zufallsgewinnen“ beteiligt werden soll, zeigt das Ringen um die – sehr bescheidene – Übergewinnsteuer der Ampel-Koalition für dieKohle-, Öl- und Gasindustrie. Ein Kerneinwand der Gegner, exemplarisch vertreten durch den Lobbyverein Wirtschaftsrat der CDU: Die Unterscheidung zwischen Gewinn und Übergewinn sei „beliebig“. Was für ein Einwand! Selbstverständlich ergeben sich demokratische Gesetze nicht aus naturgesetzlichen oder politischen Zwängen – sondern aus Diskurs und Abwägung! Kriterien können enger oder weiter gefasst sein. Ohne dieses Ermessen, diese Beliebigkeit soll es im Staat gar nicht zugehen! Wer ein Problem mit diesem Grundsatz hat, mag so tun, als sei unser Zusammenleben zwanghaft organisiert, alternativlos halt. Alle anderen streiten für ein besseres Zusammenleben, für bessere Gesetze.

Dino Kosjak/Chefredaktion

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