„Herzlich willkommen, meine verehrten Damen und Herren, zu einem Spektakel, das es in dieser Form noch nie gegeben hat: Eberhard Geber, Chef einer bekannten Discounter-Kette und einer der reichsten Menschen Deutschlands, wird uns beweisen, dass Arbeit sich lohnt. Herr Geber, was haben Sie vor?“
„Nun, immer wieder wurde ich mit dem Vorwurf konfrontiert, dass mein Vermögen – wie heißt es da immer wieder, vor allem in diesen linken Gratisblättchen? – ungerechtfertigt, ungerecht, unsozial, unverschämt, ja unmoralisch sei. Das sehe ich natürlich ganz anders. Und womit? Mit Recht natürlich! Darum werde ich heute beweisen, dass man, wenn man nur hart genug arbeitet, ebenfalls reich werden kann.“
Wer reich ist, hat recht
„Jetzt spannen Sie uns nicht länger auf die Folter! Wie werden Sie das machen? Hat es etwas mit dieser wahnsinnigen Retortenstadt zu tun, in der wir uns gerade befinden?“
„Ganz richtig. Was Sie hier sehen, ist meine Leistungs-Arena. Innerhalb weniger Wochen habe ich eine Stadt erschaffen, die aus 975.000 Discounter-Filialen besteht.“
„Das ist ja eine unfassbar hohe Zahl! Ich blicke herauf zu Wolkenkratzern, die aus aufeinandergestapelten Discountern bestehen und die mir den Himmel verdecken. Ich schaue hinein in Gebäudeschluchten aus aneinandergereihten Wolkenkratzern, die bis zum Horizont reichen. Damit hat sich die Zahl der Filialen Ihrer Kette auf der Welt mit einem Schlag mehr als verhundertfacht. Was erwartet uns hier?“
Milliardär macht Kasse
„Wie Sie vielleicht wissen, wird mein Vermögen auf knapp 30 Milliarden Euro beziffert. Neuerdings haben irgendwelche findigen, ich möchte sagen: spitzfindigen Journalisten vorgerechnet, dass eine Kassiererin in einem meiner Märkte knapp eine Million Jahre arbeiten müsste, um mein Vermögen zu verdienen. Doch das ist weinerliches, leistungsablehnendes Gewäsch. Und das werde ich nun beweisen. Sie entschuldigen mich, ich muss mich in Position begeben.“
„Ganz recht, Herr Geber, vielen Dank, Herr Geber. Ich bin gespannt und Sie, verehrte Damen und Herren vor den Geräten zu Hause sicherlich auch. Eberhard Geber, Selfmade-Milliardär, macht sich bereit. Er begibt sich in den nächstgelegenen der 900.000 Supermärkte. Lässig ignoriert er die Gemüseabteilung, er begibt sich direkt zu den Kassen, souverän öffnet er die Absperrung und setzt sich in die Kassenzelle. Er ist der Chef, er weiß, wie der Hase läuft. Der Countdown läuft, hochkonzentriert krempelt er seine Ärmel hoch. Ganz bescheiden ist er, der Eberhard Geber, hat auf diamantbesetzte Manschettenknöpfe verzichtet. Jetzt zieht er sich sogar die Mitarbeiterweste in Markenfarben über. Er überlässt nichts dem Zufall, er will später keinerlei Angriffsfläche bieten, dass er geschummelt hätte. Und nun die letzten Sekunden vor dem Startschuss …
Milliardenfaches Arbeitstempo
… Und los! Wie aus dem Nichts erscheinen in jeder einzelnen Filiale Kunden. Männer mit Zimmermannsgürtel, Frauen in Leggins, quengelnde Kinder und nörgelnde Rentner. Wir haben wirklich keine real existierende Zielgruppe ausgelassen, um die Discounter-Megacity zu einer perfekten Simulation zu machen. Und unter diesen Millionen von Kunden sehen wir Eberhard Geber, und es ist – ich kann es nicht anders sagen – einfach unglaublich. Es wirkt, als würde er sich aufteilen, aber nicht in zwei oder drei Multimilliardär-Kassierer-Hybriden, sondern in Millionen. Seine Arme und Beine bilden eine rotierende Scheibe. So schnell hat noch niemand kassiert, Waren verräumt und den Leergutautomaten entstört. In jeder einzelnen der knapp eine Million Filialen sehen wir den Mann der Stunde Unvorstellbares vollbringen. Meine Damen und Herren, wenn ich es nicht mit eigenen Augen sehen würde, ich würde sagen, das ist unmöglich! …
… Und da kommt er, unser Held der Arbeit, wenn ich diesen Ausdruck aus dem sozialistischen Deutschland hier scherzhaft anbringen darf, Herr Geber. Herr Geber, Sie wischen sich noch den Schweiß von der Stirn. Respektabel, Sie sind einer von uns, Sie haben keine Angst, sich die Hände schmutzig zu machen, so richtig anzupacken. Eine Stunde lang haben Sie nun 975.000 Supermarktfilialen ganz alleine bedient. Jetzt erklären Sie uns aber, was genau Sie uns damit sagen wollten.“
Sein Geld wert
„Sehen Sie, die Rechnung ist ganz einfach: Statt eine Million Jahre zu arbeiten, um an mein Vermögen ranzukommen, kann man auch einfach härter arbeiten. Ich habe a) bewiesen, dass man sich bloß anstrengen muss, um erfolgreich zu sein, b) dargelegt, dass ich durchaus so viel leiste, dass es meinem Verdienst angemessen ist und c) soeben in einer Stunde mein Vermögen verdoppelt.“
„Vielen Dank, Herr Geber. Sie sind ganz klar der Sieger nach und in allen drei Punkten. Und damit gebe ich zurück ins Studio.“
GELD ODER LEBEN - Aktiv im Thema
finanzwende.de | Der in Berlin ansässige Verein Bürgerbewegung Finanzwende will als „unabhängiges und überparteiliches Gegengewicht zur Finanzlobby“ dafür sorgen, „dass die Finanzmärkte wieder den Menschen dienen“.
facing-finance.org | Der in Berlin ansässige Verein Facing Finance will „deutsche und europäische Finanzdienstleister […] sensibilisieren, bei Investitionsentscheidungen völkerrechtliche Verträge, soziale Normen und Umweltstandards umfassender zu berücksichtigen“.
attac.de | Auftritt des deutschen Ablegers der 1998 in Frankreich gegründeten NGO Attac, die Armut, Ungleichheit und Ausbeutung als Folgen einer konzern- und finanzmarktfreundlichen Globalisierung kritisiert.
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