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Open Space „Bin ich Arbeit?“
Foto: Presse

Im Trockendock

01. Juli 2010

Das Projekt "Bin ich Arbeit?" versucht, arbeitslose Schauspieler zu qualifizieren und ihnen einen Job zu verschaffen - Premiere 07/10

choices: Herr Leschig, wie würden Sie auf die Frage Ihres Stücks antworten. Sind Sie Arbeit?
Gregor Leschig:
Ja, ich bin Arbeit. Arbeit ist für mich sehr wichtig, um mich zu definieren.

In der Ankündigung des Projekts „Bin ich Arbeit?“ ist von „Veränderung der Arbeitswelt für die Gesellschaft“ die Rede. Welche Veränderungen sind das? Die große Frage ist erstens, ob die Gesellschaft entlohnte Arbeit für alle bereithalten kann. Es scheint, dass wir in Zukunft immer einen Anteil haben wer- den, der gerne arbeiten möchte, aber nichts Adäquates findet. Zweitens stellt sich die Frage, ob das, was man leistet, noch entsprechend entlohnt wird oder werden kann. Und schließlich die Umwandlung der festen und dauerhaften in immer mehr kurzfristige Arbeitsverhältnisse und die zunehmende Freiberuflichkeit.

Wie geht das Projekt diese Fragen an? H.-Georg Lützenkirchen und ich bereiten gerade den dritten Teil des Projekts vor. Der erste war eine szenische Lesung zum Thema Arbeit. Der zweite hatte die Form einer Revue, für die wirSongs, Monologe und Spielszenen mit Dialogen entwickelt haben, die von professionellen Schauspielern gespielt wurden. In unserem neuen Projekt, das wir mit Unterstützung der ARGE realisieren, arbeiten wir jetzt mit Künstlern zusammen, die ALG 2 beziehen, also arbeitslos sind. Grundlage aller Stücke sind Interviews, die wir mit Menschen in unterschiedlichen Arbeits- oder Nichtarbeitssituationen über ihre Situation geführt haben.

Worum geht es in diesen Gesprächen? Arbeitslosigkeit steht sehr im Vordergrund. Viele sind arbeitslos oder befürchten, es zu werden, und sind dankbar, mit uns reden zu können. Es geht aber auch um den Umgang mit Veränderungen. Da war zum Beispiel jemand im Bergbau tätig. Die Grube wurde geschlossen, und der Mann hat dann mit einem Freund in Ostdeutschland Baugeräte verkauft. Er wurde aus dem Geschäft rausgemobbt, ging zu- rück ins Ruhrgebiet und ist heute Berufsschullehrer. Wir sprechen mit Menschen in unterschiedlichen Situationen und schauen, wieweit sich das in bühnentaugliche Szenen umsetzen lässt. Das, was wir mit den Stimmen sammeln, soll für die Zuschauer, die sich in ähnlichen Situationen befinden, Handlungsoptionen aufzeigen.

Wie gehen Sie dann mit den Interview-Texten um? Wir haben verschiedene Arbeitsgruppen gebildet. Eine Schauspielgruppe, eine Stückentwicklungs-Gruppe, eine Interviewgruppe, die Gespräche mit Menschen zum Thema Arbeit führen. Die Stückentwicklung hat Ideen für den Stückablauf entwickelt, die sie dann an die Schauspieler weiterleitet, wo sie in Improvisationen erprobt und vorangetrieben wer- den. Es ist also ein wechselseitiger Prozess wie in einer Factory. Man kann sofort die Dinge ausprobieren und sehen, ob es passt.

Letztlich ist das Projekt also eine Beschäftigungsmaßnahme für arbeitslose Schauspieler? Wir nennen es Qualifizierungsprojekt. Die Grundidee ist, eine Vernetzung innerhalb einer Solidargemeinschaft von Künstlern zu schaffen. Vor allem aber, dass man in seinen Berufsbereichen gestärkt wird, indem künstlerisches Schaffen mit der Vermarktung nicht getrennt, sondern parallel laufen - genauso wie im normalen Arbeitsprozess. Mit dem Projekt durchlaufen wir die Dinge, die man im künstlerischen Alltag braucht, wie Marketing, Fragen zum Urheberrecht,zum Thema Mittelakquise oder zur Frage ‚Wann werde ich als Schauspieler bei zunehmendem Mittelschwund tätig’. Zugleich hat man die Chance, auf sich aufmerksam zu machen. Aber eben nicht im Rahmen einer klassischen Stück-Inszenierung.

Hat es denn dafür ein Casting gegeben? Es sind Autoren, Bühnenbildner, Komponisten, Regisseure, Schauspieler und Techniker dabei. Wir haben keine Vorsprechen gemacht, sondern unser Vorhaben eines offenen künstlerischen Prozesses mit qualifizierenden Momenten erklärt. Es ging vor allem um die Bereitschaft, spartenübergreifend zu denken und natürlich auch, aus dem ALG 2 raus- zukommen.

Inwieweit ist das noch künstlerische Arbeit und nicht schlichter sozialer Dienst? Die Gefahr ist da, hat sich aber im Laufe des Prozesses erledigt, weil die Leute die Hintergründe gar nicht in die Öffentlichkeit tragen wollen. Der im Juli stattfindende Open Space wird nur über das Thema Arbeit nachdenken. Punkt.

Auf welchem künstlerischen Level bewegt sich der im Juli stattfindende Open Space? Seit Februar brüten wir über dem Thema, jetzt Ende Juli gibt es einen Open Space, also eine Mischung aus Eigenpräsentation und Szenen zum Thema Ar- beit. Es ist eine Collage im weitesten Sinne. Im Dezember wird es dann unter dem Titel „Trockendock“ eine große Inszenierung mit Musik geben.

Das heißt, die ARGE finanziert ein Kulturprojekt.

Nein, ein Qualifizierungsprojekt. Zudem sind die Künstler nach wie vor verpflichtet, sich zu bewerben und sind keineswegs raus aus der Arbeitslosen-Statistik. Die ARGE finanziert den künstlerischen Teil nur zu einem sehr geringen Maße und schaut da natürlich wirtschaftlich drauf.

Es gibt doch eigentlich immer arbeitslose Künstler. Ist das ein Endlosprojekt? Es könnte dazu werden. Es geht viel um Vertrauen in die eigene künstlerische Stärke, und die ist nicht jedem gegeben, obwohl er vielleicht gute Kunst macht. Endlos klingt nicht so schön. Ich könnte mir vorstellen, dass es dafür einen fortlaufenden Bedarf gibt.

Wie geht es nach der Premiere im Dezember weiter? Das haben wir offen gelassen. Wir werden mit der ARGE über die Ergebnisse unseres Projekts sprechen. Ich habe den Eindruck, aus der Truppe könnte ein Team entstehen, das danach weiterarbeitet. Wir würden dann mit der ARGE über eine weitere Unterstützung verhandeln. Die andere Option ist, dass wir das Projekt im kommenden Jahr wieder auflegen.

Open Space zu „Bin ich Arbeit?“, verantwortliche Gesamtleitung: Gregor Leschig und H.-Georg Lützenkirchen I Orangerie I 27.-29.7., 20.30 Uhr

ZUR PERSON

Gregor Leschig, geboren 1958 in Berlin, arbeitet als Regisseur und Kulturmanager. Nach Lehr- und Wanderjahren in den USA und Italien hat er sich in Köln niedergelassen und dort in der freien Szene verschiedene Projekte realisiert. Seit 1998 verfolgt er die Idee des The- aters als soziale Skulptur. In diesem Zusammenhang entstanden unter anderem Produktionen zu Gotthold Ephraim Lessing, Hermann Kesten, das Jugendprojekt „Via crucis“ für den Weltjugendtag 2005 sowie eine Inszenierung von Heiner Müllers „Quartett“ mit Materialien aus Chatrooms. Seit zwei Jahren arbeitet Gregor Leschig an dem Projekt „Bin ich Arbeit?“.

HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

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