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„Jemand wie ich“ (Proben)
Foto: Thomas Morsch

„Hollywoodarchetypen aus der Frühzeit des Tonfilms“

24. November 2016

Regisseur Bruno Cathomas und Autorin Charlotte Roos über „Jemand wie ich“ – Premiere 12/16

Es sind die kleinen Gesten, die Blicke, die Betonungen, das Verhalten, aus denen wir unsere eigene Alltagsrolle zusammensetzen. Je nach Anlass verfügen wir über ein breites Repertoire an Ausdrucksformen, aus dem wir uns für die jeweiligen gesellschaftlichen Anlässe und Rollen bedienen. Unseren kleinen Fundus haben wir zusammengeklaubt von realen Vorbildern und medialen Rollen. Was wir unbewusst tun, ist für den Schauspieler Bedingung seines Berufs: die Reflektion über die Rolle und ihr Verhältnis zum eigenen Ich. Bruno Cathomas und Charlotte Roos erarbeiten mit acht Schauspielstudenten ein Stück über archetypische Rollen, wie man sie sich aneignet und auch wieder loswird.

Frau Roos, Herr Cathomas, Ihr Stück „Jemand wie ich“ handelt vom Rollenspiel. Geht es um Bühnenrollen, gesellschaftliche Rollen oder Vorbilder wie Stars?
Bruno Cathomas: Wir haben Rollen wie die Blonde, die Dunkle, die Femme fatale, den Cowboy, Detektiv, Analytiker und Autor genommen. Mit der Rolle übernehmen die Schauspieler eine Funktion. Du bist jetzt also Autor und hast entsprechende Sätze zu sprechen. Während du spielst, denkst du aber darüber nach, was du mit einem Autor zu tun hast. So geht es jedem Schauspieler. Du gleichst ständig ab, was du in dieser Position machen würdest.

Charlotte Roos: Wir haben versucht, Rollen zu erfinden, die über Bühne und Film hinausweisen. Man schlüpft ja längst nicht mehr nur in kulturellen Räumen in Rollen. Wir versuchen rauszufinden, inwieweit man sich in Ich-Anteile oder verschiedene Positionen zersetzt, inwieweit ein Ich also sowieso schon etwas Dissoziiertes, ein Bündel aus mehreren Eigenschaften ist. Mich hat gerade interessiert, Identität außerhalb des Kontexts von Migration und Integration zu verhandeln, um zu zeigen, dass Identität hier bei uns nicht irgendwie fertig und unversehrt ist, während die Menschen, die von woanders zu uns stoßen, unsere schöne Identität stören.

Sind diese „archetypischen Rollenfächer“ nicht viel zu weit weg, um darin nach dem eigenen Ich zu suchen?

Bruno Cathomas
Foto:Thomas Morsch
Bruno Cathomas studierte an der Schauspielakademie Zürich. Ab 1992 spielte er u.a. an der Berliner Volksbühne, am Deutschen Theater und am Thalia Theater. Als freier Regisseur inszenierte er in Basel, Berlin, Chemnitz und Potsdam. Außerdem spielte er in zahlreichen Kino- und Fernsehproduktionen. Seit der Spielzeit 2013/14 ist er fest am Schauspiel Köln engagiert. Charlotte Roos arbeitet nach ihrem Studium als freie Regisseurin in Graz, Bochum, Hannover und Zürich. Sie hat zahlreiche Theatertexte und Prosa veröffentlicht. Nachdem sie bereits mit „If I can…“ am Schauspiel Köln tätig war, folgt nun die Uraufführung ihres Stückes „Jemand wie ich“.

CR: Wir haben mit Absicht diese Hollywoodarchetypen aus der Frühzeit des Tonfilms gewählt, die weit von den Schauspielstudenten weg sind. Man merkt dann schnell, dass es Wiedergänger von diesen Archetypen auch heute gibt. Die Begrifflichkeiten sind etwas anders, doch man reibt sich genauso daran wie damals. Zugleich ist es auch ein Traum, eine solche Rolle mal zu spielen. Das ist ein Interesse mit einem Fragezeichen. Wieso suche ich nach mir selbst anhand eines solchen Figurenregisters? 

BC: Wenn man einmal eine solche Rolle gefunden hat, kann es dazu kommen, dass daraus irgendwann eine Ikone wird. Wie bei Marilyn Monroe. Was war sie? Was war die Rolle? Sie hat ja immer darunter gelitten. Es ist natürlich dankbar für die Auseinandersetzung, dass wir eine Figur wie Marilyn Monroe auf der Bühne haben. Und dass die Schauspielerin, die das spielt, aussieht wie ein klassisches Vollblutweib und permanent Texte über das gestörte Frauenbild spricht.

Kann sich eine junge Studentin in Marilyn Monroe einfühlen, bleibt es da nicht beim Zitieren?
BC: Du kannst im Theater verschiedene Spielweisen etablieren. Du kannst psychologisieren, zitieren oder comichaft spielen. Du kannst sogar zwischen diesen Erzählebenen hin- und herswitchen. Dabei entscheidest du, wie viel und was du zitierst oder was du so spielst, als sei es ganz persönlich.

Was war für Sie, Herr Cathomas, ein archetypisches Rollenfach?
BC: Ich gehöre zur letzten Generation, die in der Schauspielschule noch Rollenfächer wie romantischer Liebhaber etc. zugewiesen bekam. Ich war der Buffo. Ich habe dann gedacht, ich müsste mein Leben lang kleine, dickliche, lustige Typen spielen. An der Volksbühne in Berlin habe ich das dann beiseite gewischt und nur noch Mörder und durchgeknallte Psychos gespielt. Man hat dann andererseits Angst, dass man nur noch in diesem Fach besetzt wird.

Wie verschärft sich diese Auseinandersetzung mit Rollen, wenn man auf der Schauspielschule auch noch ständig eine Anleitung zum Rollenspiel bekommt?
BC: Die Studentenzeit ist bei Schauspielern eine sehr spezielle Zeit. Deine Stimme und dein Körper sind deine Instrumente und du fängst an, alles in Frage zu stellen. Dein Aussehen, deine Stimme, deine Bewegungen – nichts scheint richtig. Jede Emotion wird sofort reflektiert. Das reicht bis ins Private hinein. Es ist eine Zeit großer Verunsicherung angesichts der Frage, wer du bist.

Wie sind Sie bei der Stückentwicklung vorgegangen?
CR: Wir haben Interviews und ein Workshop-Wochenende gemacht, um zu sehen wie sich die Studenten bewegen, wie sie aussehen, was für eine Körpersprache sie haben. Dann haben wir ein dramaturgisches Grundgerüst entwickelt. Ich habe eine Textfassung zumindest bis zur Hälfte des Stückes geschrieben. Danach wollten wir erst mal sehen, ob wir damit richtig liegen. Jetzt schaue ich bei den Proben zu und schreibe. Meistens nehme ich die folgenden Szenen vorweg. Oder ich korrigiere und schreibe Brunos Inszenierung hinterher.

Kannten Sie beide sich eigentlich vorher?
BC: Nein, nicht wirklich. Ich habe natürlich ihre Stücke gelesen. Charlotte hat hier die Vorlage geliefert für eine Improvisationsreihe.

CR: Das war eine Theatersoap, die ebenfalls in Gesprächen mit den Darstellern entstanden ist. Wir haben über die abgespielten Folgen gesprochen und daraus die nächste entwickelt. Manchmal mit hanebüchenem Inhalt. Ich habe dann einen Leitfaden mit Texten geliefert, die manchmal benutzt wurden, oft auch nicht.

Was hat Sie als Autorin an einer Stückentwicklung gereizt?
CR: Ich mag es, für ein Ensemble zu schreiben, das mir bekannt ist. Ich schreibe für acht Spieler und einen bestimmten Raum. Das sind fantastische Voraussetzungen, die man als junge Autorin nicht so oft bekommt. 

BC: Sie muss allerdings Texte für acht Figuren schreiben, die alle gleichberechtigt vorkommen. Das ist dramaturgisch die Hölle. „Jemand wie ich“ ist das Abschlussstück dieses Jahrgangs und die Studenten wollen sich präsentieren. Da kann man nicht einem die Hauptrolle geben und die anderen spielen die Unter-Ichs. 

CR: Ich hatte trotzdem von Beginn an den Anspruch, ein Stück zu schreiben. Bei acht Protagonisten läuft man allerdings Gefahr, in die Breite zu schreiben. Jede Figur braucht ihre eigene Dramaturgie, da muss man umdenken. Es gibt eine dramaturgische Setzung, die ich zu halten versuche, auch wenn wir immer mal wieder rausmäandern.

Man sagt der jungen Generation nach, dass sie sehr um sich selbst kreist. Hat das Auswirkungen auf das Stückthema?
BC: Ich bin schon in den Nuller Jahren in der Schweiz Jugendlichen begegnet, die sich schön und gut fanden. Die Eltern haben sie nicht nur geliebt, sondern ihnen offensichtlich auch eine Eigenliebe beigebracht. Das gab es in meiner Generation nicht, man fand sich immer scheiße. Gleichzeitig gibt es aber eine Uniformität: Alle haben tolle Körper, schöne Zähne, alle waren schon mal beim Psychiater. Im Theater aber geht es um Abgründe und Konflikte, die es im Leben dieser Generation nicht gibt. Was macht man mit jemandem, der noch kein Leid erfahren hat? Wir haben in unserer Gesellschaft noch keinen künstlerischen Ausdruck für eine Generation, die keine existenziellen Probleme hat. Wir müssen das neu definieren. Wir brauchen eine Kunst wie die neuen Trendsportarten, die Gefährdung auf spielerische Weise sucht.

„Jemand wie ich“ | R: Bruno Cathomas | 3.(P), 10., 13., 22.12. je 20 Uhr, 18.12. 19 Uhr | Schauspiel Köln | 0221 22 12 84 00

Interview: Hans-Christoph Zimmermann

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