Das Problem mit Zügen ist deren permanente Zeitnot. Sie sind zum Rasen verdammt. Selbst, wenn sie an einem Bahnhof Halt machen, erscheinen sie in Nervosität zu vibrieren. Sie müssen aufbrechen, mit Flüchtenden, die kaum wissen, wo sie ankommen. Das Schicksal verurteilt den Menschen zum Nomaden, dem das Fortgehen in die DNA geschrieben worden ist. So auch in der Adaption von Emine Sevgi Özdamars Roman „Ein von Schatten begrenzter Raum“, die am Schauspiel Köln auf die Bühne kommt: Die Inszenierung von Nuran David Calis ähnelt in weiten Teilen einer Hochgeschwindigkeitsmaschinerie, die lediglich während der Einfahrt in fremde Städte ihr Tempo drosselt.
Passend dazu steht ein Zugabteil im Fokus der rund 100-minütigen Aufführung, aus dem heraus die Protagonistin – eine türkische Schauspielerin – von ihrer Sinnsuche quer durch das Europa der 1970er-Jahre berichtet. Auf der Strecke Istanbul-Berlin-Paris-Bochum suchen sie Visionen und Erinnerungen heim, die u.a. von den Gräueln des 1. Weltkrieges und dem Genozid an den Armeniern im einstigen Osmanischen Reich handeln. Bleiben oder gehen stellt sich ihr nicht als Frage. Vielmehr keimt während der Odyssee ihr Wunsch nach einem dauerhaften Exil auf, fern von einer ernüchternden Karriere, bei der sie auf stereotypische Rollen als Putzfrau reduziert und von selbstverliebten Regisseuren umgarnt wird.
In multiplen Rollen fordern Kristin Steffen, Michaele Steiger und Daron Bates ihr Publikum mit rasanten Monologen und Dialogen über Familienstammbäume heraus, deren Wahlverwandtschaften nicht lange währen. So, wie die Karrieren der echten Reinigungskräfte in Deutschland bald einen Quantensprung vom Besen zum Qualitätsstaubsauger machen, erscheinen auch die globalen Fortschritte auf dem Weg zum Humanismus: Unterdrückung, Widerstand, Befreiung, wiederaufkeimende Gewalt und erneute Flucht von der Unmenschlichkeit rattern weltweit über die Gleise. Zivilisation und Individuum verkehren auf Anne Ehrlichs hochfunktionaler Bühne zwischen Bahnhöfen, manuskriptübersäten, abgenutzten Wohnungsteppichen, Hotelschlafzimmern, Münztelefonkabinen, Theatergarderoben, gnadenlos reflektierenden Spiegeln und stets laufenden Video-Kameras. Auf diesen Fahrten und Zwischenhalten wird die Geschichte einer sehnsüchtigen Künstlerin geschrieben, deren Name nicht genannt wird. Begleitet wird sie von Krähen, die den Idealismus der Reisenden verspotten und ihr ein dunkles Schicksal prophezeien.
„Ein von Schatten begrenzter Raum“ tötet Hoffnungen schnell und präzise am Ende einer langen Nacht, kurz bevor die Sonne aufgeht. Das Darsteller:innen-Trio wagt ein stilistisch heterogenes Spiel: Vor allem Kristin Steffen irritiert effektiv mit einer mitunter an Karnevalslegende Hans Süper orientierten, ironisch-hinterhältigen, geduckten Körpersprache. Bizarr und kein bisschen völkerverbindend, aber im wahrsten Sinne des Wortes fantastisch.
Ein von Schatten begrenzter Raum | 6.6. je 20 Uhr | Schauspiel Köln | Türkisch und Englisch übertitelt | 0221 22 12 84 00
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