Gezi Soul – das erste Köln-Istanbul-Festival hat am Donnerstag begonnen und präsentiert bis Sonntag ein abwechslungsreiches Programm mit türkischen Künstlern, Bands und deutsch-türkischen Gemeinschaftsprojekten. Der Gezi-Park in Kölns Partnerstadt Istanbul steht nicht nur für Polizeistaat und Einschüchterung, sondern auch für die Dynamik eines Volkes, das sich aus der Enge befreien will, in der es sich befindet. „Gezi Soul“: Die Seele der türkischen Protestbewegung soll am Leben gehalten und auch in Deutschland verstanden werden, wo der Mitbestimmungswille der Bürger sich oft nur auf dem Stimmzettel entlädt. Bei der abendlichen Auftaktveranstaltung im Köln-Ehrenfelder artheater erklärte Theaterchef Stefan Bohne, dass er und die anderen Veranstalter eine Pflege und Stärkung der deutsch-türkischen Beziehungen in Köln anstreben. Inspiration beziehen sie von den Ereignissen im Gezi-Park im letzten Sommer. Bohne sehe Mitgestaltung als etwas, das nur von der Kultur ausgehen könne, daher hätten die Organisatoren niemandem Vorschriften gemacht, sondern würden lieber Menschen eine Plattform bieten, die sonst keine hätten.
Bohne und der Ehrenfelder Bezirksbürgermeister Josef Wirges waren stolz, dass unter anderem die Organisation des für Samstagnachmittag vorbereiteten Straßenfestes „Unter einem Himmel“ auf der Körnerstraße trotz der damit verbundenen Schwierigkeiten geklappt habe. Wirges hoffte, dass das Festival andere Menschen erreicht und ein Signal in die Türkei sendet, wo er oft hinfahre und wo die AKP-Regierung leider immer noch nicht verstanden habe, dass Freiheitsrechte nicht teilbar seien.
Die eingeladene Berivan Aymaz von den Kölner Grünen erinnerte an die kraftvollen Impulse, die im Gezi-Park von Einzelgruppen wie den Sinti und Roma oder Lesben, Schwulen und Transgendern ausgegangen seien, und erklärte, dass eine Gesellschaft daran zu messen sei, wie sie mit Schutzbedürftigen umgehe. In Köln, aber auch von Seiten der Bundesregierung müsse für die Sinti und Roma viel getan werden, die einfach nicht auf dem Balkan leben könnten. Auch Künstler kamen zu Wort: Die Tänzerin und Choreografin Hülya Arslan, die es als Gewinn ansehe, zu zwei Kulturen zu gehören und dadurch über beiden zu stehen; der Musiker Ümit Han, der berichtete, dass durch Gezi-Park türkische Künstler politisches Interesse entwickelt hätten und ein interkontinentaler Austausch wichtig sei; der ausgebürgerte Schriftsteller und Aktivist Dogan Akhanli, der zwischen Türken und Deutschen reell wenige Unterschiede sieht, die aber wiederum häufig zu starkt betont würden.
Im Untergeschoss des artheater fand sich die an drei Abenden laufende deutsch-türkische Video-Installation „Gezi Park“, eine begehbare, mit O-Tönen und Originalbildern ausgestattete künstlerische Simulation der Ausschreitungen (von Sascha Demmer, Ümit Han und Tim Fehske). Dort unten, am Ende des Ganges, hauste sozusagen die Seele des Festivals.
Wie ist es eigentlich „allein unter Türken“? Autor Werner Felten hatte darauf nach der Startveranstaltung nicht nur die Antwort in Form seines gleichnamigen Buches (Südwest-Verlag), sondern wusste generell vieles über die gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland zu sagen. Während er mal am Tisch saß, um Abschnitte aus seinem Buch vorzulesen, mal in die Bühnenmitte ging, um nicht „oberlehrerhaft“ zu dozieren, erklärte der ehemalige Programmdirektor des türkischsprachigen Radiosenders Metropol FM in Berlin, dass sich in Hinblick auf die Einstellungen zu Türken oder Muslimen in Deutschland in den vier Jahren seit Erscheinen des Buches nun wirklich nichts geändert habe. Ein Beispiel sei der „Tatort“ des vorherigen Sonntags gewesen („Der Wüstensohn“), der ein Nahost-Klischee an das nächste gereiht habe. Das passte zu Abschnitten seines Buches über das ständige Auftauchen von Dönerbuden in Fernsehkrimis und über die „Archiv-Pinguine“ der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten: In Berlin-Kreuzberg gemachte Bilder traditionell schwarz gekleideter Türkinnen, die bei Medienberichten jahrelang immer wieder hervorgekramt und in Fernsehberichte einmontiert worden seien. Wenig geändert habe sich auch, dass religiöse Motive immer wieder bei Konflikten oder Kriegen vorgeschoben würden und leider zu viele Menschen darauf hereinfielen. Ein Vergleich der türkischen mit der italienischen Integrationsgeschichte warf unter anderem die Frage auf, warum Deutsche italienische Grußformeln und Schlüsselwörter beherrschen, aber meist kein Wort Türkisch.
Abschließend bekundete Felten seine Meinung zum Thema Integration, einem Wort, das er allerdings ablehne. Integration sei nicht das Problem, zu dem es immer hochgeredet werde, vielmehr gebe es bereits ein Grundgesetz und ein Bürgerliches Gesetzbuch. Die Rahmen seien gesteckt, alles andere sei unwichtig – da könne man durchaus mal von den „Schmelztiegel“-Amerikanern lernen. Auch in Deutschland sei die „Mehrheitsgesellschaft“ dramatisch am Schrumpfen. Er verabschiedete sich, wie er gegrüßt hatte: auf Deutsch und Türkisch.
Gezi Soul – 1. Köln-Istanbul-Festival | bis 21.9. | Arkadas Theater, Artheater, Club Bahnhof Ehrenfeld, Nachtigall Bar | www.gezi-soul.de
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