Vor einhundert Jahren wurde die Belle Epoche und der zaghafte Weg in die Moderne jäh von einem Weltenbrand beendet, der nicht nur Auswirkungen auf Millionen von Menschen hatte, sondern auch die Künstler in eine tiefe Sinnkrise stürzte. Die damals bereits freundschaftlich verbundenen Avantgarden in ganz Europa und auch die mit ihnen groß gewordene internationale Kunstszene lösten sich auf, mussten gewaltsam zu Feinden werden. Alles veränderte sich, nicht nur Haltung, auch die Bilder und die Künstler selbst. Wie einschneidend der Ausbruch des Ersten Weltkrieges war, zeigt jetzt die opulente, aber auch didaktisch und dramaturgisch ausgeklügelte Ausstellung „1914 – Die Avantgarden im Kampf" in der Bonner Bundeskunsthalle.
Ein Parcour durch die Kunst- und Zeitgeschichte
Der Rundgang wird dabei nicht nur zu einer Geschichtsstunde über die Schrecken des Krieges, im Grunde genommen ist es auch ein Parcours durch die Kunstgeschichte mit über 300 Gemälden und Zeichnungen von Kandinsky bis Franz Marc, der den Krieg nicht überlebte. Chronologisch wandert der Besucher durch eine Entwicklung der Auseinandersetzung europäischer Völker, es beginnt mit der Zeit vor dem Krieg, mit der Blütezeit der Avantgarden vor 1914. Hier entstanden Meisterwerke wie Franz Marcs „Affenfries“ (1911) oder auch Robert Delaunays „Fensterbild“ von 1912, die vom Kubismus beeinflusst, längst in den internationalen Institutionen vertreten waren. Viele dachten an eine neue Welt. Kandinskys „Sintflut“ (1912) zeigt ein Chaos, aus dem die neue Zeit erwachsen soll, ein einsamer reitender Trompeter inmitten sich auflösender Landschaft, auch aus Zerstörung soll ein neuer Geist erwachsen können. Doch schon früh im Jahrhundert gab es Mahner und einsame Rufer. Alfred Kubis „Der Krieg“ (1903) ziert in jeder Generation ein Schulbuch, aber auch Ludwig Meidner oder Franz Marc ahnten einen drohenden Weltuntergang voraus.
Die Wirklichkeit des Krieges
Und dann waren sie plötzlich mittendrin im heroischen Kampf um nichts, die Künstler glänzten durch die Herstellung von kunstvollen Tarnmustern, ließen sich anfangs von patriotischen Geistern verführen, doch sie merkten schnell am eigenen Leib, dass die Erschütterungen der Welt, die sie außerhalb ihrer Ateliers erlebten, nicht dem hehren Geist des Neuen entsprangen. Max Slevogt, der Ende 1914 freiwillig an die Westfront reiste, hielt es dort gerade mal drei Wochen aus. Sein dort entstandenes „Kriegstagebuch“ in Aquarellen zeigte nur Tote und Ruinen. Drastisch seine „Feldschlächterei“ gemalt im Lazarett am 17.10.1914 oder der „Gefallene Engländer“.
Aus Körpern werden Steine
Zu der Erschütterung passt auch die eingebettete Ausstellung „Missing Sons - Verlorene Söhne". Hier sind 80 fotografische Reproduktionen und fünf Originalarbeiten von Käthe Kollwitz zu sehen, dazu Gedenkorte mit Inschriften und langen Namenslisten, aber auch viele Szenen der Künstler in Uniform. Paul Klee in der Landsturm-Kompanie in Landshut, das letzte Foto von Franz Marc oder Egon Schiele im österreichischen Lager Mühling, wo er russische Kriegsgefangene porträtierte. Kirchner machte die „Sehnsucht nach der Arbeit“ fast wahnsinnig, Max Ernst wurde durch den Rückschlag seiner eigenen Kanone schwer verwundet. Doch viele andere blieben vermisst, aus ihren Körpern wurden Steine, die nur noch die Namen trugen, ihre Ateliers blieben für immer verwaist.
Radikal neu und widerborstig
Schon im Krieg versuchten sich viele der Mobilmachung und dem Schlachten zu entziehen, man traf sich in der neutralen Schweiz oder flüchtete in die Vereinigten Staaten. In Zürich eröffnete Hugo Ball mit Kollegen das Cabaret Voltaire, dort begann DADA vor allem in Gestalt der Tänzerin und Sängerin Emmy Hennings. Die Dadaisten waren gegen alle, gegen den Krieg sowieso, aber auch gegen die Bourgeoisie und deren arrivierte Kultur. Einige Arbeiten von Raoul Hausmann und Francis Picabia, aber auch Fotografien von Emmy Hennings (mit Dada-Puppe), Hugo Ball (im kubistischen Kostüm) und Elsa von Freytag-Loringhoven (bei ihrer Körperperformance) sind in der Bundeskunsthalle zu sehen, bevor das letzte Kapitel der radikalisierten Moderne aufgeschlagen wird mit Marcel Duchamps „Kamm“ (1916). Es ist ein Rundgang, für den man viel Zeit mitbringen, und es gibt einen opulenten Katalog, den man mitnehmen sollte.
„1914 – Die Avantgarden im Kampf“ | bis 23.02. | Bundeskunsthalle Bonn
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