Marco Štorman zeigt Aischylos „Orestie“ am Theater Bonn – Auftritt 11/18
Agamemnon (Wolfgang Rüter), der griechische Gröfaz in rosa Uniform, stellt sich in Statuenpositur. 10 Jahre Gemetzel in Troja machen einen geraden Rücken. Dann kurze Umarmung mit Ehefrau Klytämnestra: Rückkehr! Wiedersehen! Nur um endlich sein neues Lust-Spielzeug aus einer Plastikfolie auszupacken: Die halbnackte, nur in Lendenschurz und Baströckchen gekleidete Seherin Kassandra, die hier allerdings von Daniel Breitenfelder gespielt wird. Und nun folgt die grandioseste Szene dieses großen Abends: Kassandra macht aus ihrer/seiner Prophezeiung ein hinreißend sardonisch-narzisstisch-kokettes Spiel mit den Zuschauern. Die Vorhersage des Schicksals der Atriden ist nämlich nicht nur Blick in die Zukunft, sondern zugleich Tatvollzug, weil im Hintergrund Klytämnestra den geweissagten Mord an ihrem Ehemann begeht, und Demonstration historischer Verstrickung. Das Theater wird so zur Zeitmaschine. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft fallen zusammen.
Marco Štorman
Foto: Presse
Zur Person Marco Štorman ist
Regieabsolvent der Otto-Falckenberg-Schule in München. Er assistierte u.a. bei
Christoph Schlingensief und inszenierte am Thalia Theater in Hamburg, in
Hannover und Stuttgart. Seit zwei Jahren ist er Hausregisseur für Musiktheater
am Luzerner Theater. In Bonn präsentierte er „Der Zorn der Wälder“ und „Die
schmutzigen Hände“
Als Objekt (und auch Subjekt) dieser Demonstration dient das an diesem Abend immer wieder ostentativ angespielte Publikum. Marco Štormans Interpretation von Aischylos „Die Orestie“ ist nicht Nachvollzug einer mythischen Handlung, sondern legt einen Gewaltvollzug offen, der ununterbrochen bis heute reicht und an dem die Zuschauer unmittelbar beteiligt sind. Agamemnon tötet seine Tochter Iphigenie für ein bisschen guten Wind bei der Überfahrt nach Troja. Dafür bringen ihn später seine Frau Klytämnestra und ihr Lover Aigisth um, nur um dann von ihrem eigenen Sohn Orest gekillt zu werden. Anders als bei Aischylos gibt es bei Štorman am Ende aber keinen Freispruch für Orest und keine Entthronung der Götter. Der dritte Teil der Trilogie ist weitgehend gestrichen. Anstelle dessen geben Bernd Braun und der Musiker Moritz Löwe einen schwarz gewandeten hinreißenden Chor der Zeiten, der mit schäbiger Ironie durch die Demonstration der Niedertracht des Menschen als ewiges Verhängnis moderiert. Und wo könnte das Stück besser spielen als in einer billig-grauen, hohl klingenden Pappmaché-Kiesgrube (Bühne: Jil Bertermann): Baustelle Menschheit. Die Leidenschaften sind der Kies, aus dem sich der Mensch seine Gesellschaft baut – und in dem er seine Leichen dann auch verscharrt. Die Parallele zur aktuellen neofaschistischen Rehabilitierung der Wut als politischer Argumentationsgröße springt einem regelrecht ins Gesicht.
Foto: Thilo Beu
Lange nicht mehr hat man das Bonner Ensemble so brillant aufspielen sehen. Erschütternd, wenn Sophie Basse als Klytämnestra ihren Mord dem Publikum nicht nur gesteht, sondern gnadenlos zum Vorwurf macht, nur um sich dann keifend mit Aigisth (Christian Czeremnych) um die Autorschaft der Tat zu streiten. Ihr Lover ist auch nur billiger Macho mit Herrschaftsdrang. Wie das Killerduo dann an Kassandra alle Mordarten durchdekliniert, ist von komisch-verzweifelter Brutalität. Folgerichtig auch, dass später Agamemnon als Geist wiederkehrt und gemeinsam mit der girliehaften Elektra (Sandrine Zenner), den hamletisch-zögerlichen Orest (Sören Wunderlich) in den Muttermord treibt. Am Ende versammeln sich alle Toten und Lebenden als festlich gekleidete Abendgesellschaft, während im Hintergrund ein Wachturm in die Höhe wächst. Der göttliche Big Brother ist keineswegs verschwunden und der Fluch endet vermutlich nie.
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