The Fall (2006)
Indien/ Großbritannien/ USA 2006, Laufzeit: 117 Min.
Regie: Tarsem Singh
Darsteller: Lee Pace, Justine Waddell, Catinca Untaru, Robin Smith, Julian Bleach, Leo Bill, Emil Hostina
Los Angeles 1915: Ein verletzter Stuntman entführt ein kleines Mädchen in das märchenhafte Reich seiner Phantasie.
Bereits die Eröffnung bildet eine leinwandsprengende Bilderflut: Zeitlupen und prächtige Großaufnahmen in schwarzweiß erzählen von einem missglückten Stunt an einer Eisenbahnbrücke. Der verletzte Stuntman (Lee Pace) kommt in einem Krankenhaus wieder zu sich. Dort begegnet er dem Mädchen Alexandria (hinreißend: Catince Untaru). Ein aufgewecktes, neugieriges Kind, das allein und verträumt durch die Gänge des Sanatoriums wandert und dabei spielerisch die Geheimnisse des Sehens und optischer Täuschungen für sich entdeckt. Inmitten skurriler Patienten befreunden sich der Mann und das Mädchen, und er beginnt, Alexandria eine phantastische Geschichte zu erzählen. Eine Geschichte von fünf Freunden, die sich allesamt an einem spanischen Gouverneur rächen wollen. Während Alexandria der Geschichte gespannt folgt, verfällt der Stuntman wiederholt in einen Fieberwahn, so dass Realität und seine phantastischen Erzählungen miteinander verschmelzen.
Nach seinem Spielfilmdebüt „The Cell“ aus dem Jahr 2000 legt Regisseur Tarsem Singh ein Werk nach, in dem er erneut in das Unterbewusstsein und die Phantasie seiner Helden eintaucht und dies wundersam farben- und kostümprächtig bebildert: Schwarze Reiter, bizarre Exoten und eine Prinzessin in märchenhaften, bunten Landschaften – vier Jahre lang reiste Singh um die Welt, um die Bilder einzufangen, die die Morphiumphantasien spiegeln und dem Zuschauer ein bildgewaltiges Märchen aus 1001 Nacht präsentieren. Ein surrealer Märchentrip, den Singh immer wieder mit den Erlebnissen im Krankenhaus reflektiert und erdet. Dort nämlich verfällt der Stuntman zunehmend in suizidale Absichten, während das Mädchen ein Happy End für das Märchen herbeisehnt.
Vorbild für dieses verzaubernde Epos ist der Film „Yo Ho Ho“ des bulgarischen Regisseurs Zako Heskija von 1981, in dem ein verletzter Schauspieler einem Jungen fabelhafte Geschichten erzählt. Beide Filme vereint der Glaube an die heilende Kraft der Phantasie. Singh zielt dabei insbesondere auf die Kraft des Kinos: Seine Helden leben zur Zeit des Stummfilms, der Mann arbeitet am Set, Alexandria wird am Ende noch einmal mit kindlicher Unbekümmertheit ihre Faszination über die laufenden Bilder zum Ausdruck bringen. Während sie sich für einen Stummfilm-Western begeistert, weiß Singh mit „The Fall“, wie man noch 100 Jahre später das Publikum verzaubert. Dabei schaukelt er zwischen blutigem Drama und weichgezeichnetem Abenteuer, entschärft morbide Tragik mit gewitzten Dialogen, und es ist nicht immer klar, welches Publikum der Regisseur mit seinem kunstvollen Ausflug begeistern möchte. Vermutlich möchte Singh einfach jeden verführen.
(Hartmut Ernst)
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