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Corsage

Corsage
Frankreich, Luxemburg, Deutschland, Österreich 2022, Laufzeit: 113 Min., FSK 12
Regie: Marie Kreutzer
Darsteller: Vicky Krieps, Florian Teichtmeister, Colin Morgan
>> tickets.alamodefilm.de/CORSAGE-DE

Ein etwas anderer „Sissy“-Film

Vor aller Augen verschwunden
„Corsage“
von Marie Kreutzer

Eingeklemmt hinter einem Traktor, wartet die königliche Kutsche mit „Sissi“ an einer Bahnschranke. Der herannahende Zug kündigt sich mit bedrohlicher Geräuschkulisse an und lässt die hinter den Traktor geduckte Kutsche noch kleiner wirken. Es gibt einige solcher eindrucksvollen Momente zwischen Tragik und Komik in Marie Kreutzers neuem Film „Corsage“ – visuelle in Szene gesetzt von Bildgestalterin Judith Kaufmann („Der Junge muss an die frische Luft“, „Das Vorspiel“), die den Zustand der österreichisch-ungarischen Kaiserin Elisabeth, seit 1955 besser bekannt als Sissi, anschaulich zeigen: In die Passivität gezwungen, erahnt sie die Zukunft, während sie doch in der Vergangenheit feststeckt.

So oder ähnlich könnte sich Elisabeth von Österreich, ehemalige Herzogin von Bayern, im Jahr 1877 mit 40 Jahren gefühlt haben. Der Film findet viele solcher tollen, mitunter auch sehr komischen Bilder für die Zerrissenheit der weltberühmten Kaiserin, die schon zu Lebzeiten eine Art unfreiwilliger Popstar war, aber auch schon früh um Selbstbestimmung gerungen hat. Mit 15 Jahren wird sie mit dem sieben Jahre älteren Kaiser Franz Joseph verlobt – von Freiwilligkeit kann in diesem Alter kaum die Rede sein. Mit 17 wird sie zum ersten Mal Mutter – das Kind stirbt im Alter von zwei. Mit 18 Jahren bekommt sie ein weiteres Mädchen und mit 21 Jahren kommt ihr einziger Sohn zur Welt. Zehn Jahre später folgt eine weitere Tochter.

„Deine Aufgabe ist es lediglich, zu repräsentieren – dafür habe ich dich ausgewählt, dafür bist du da“, sagt Kaiser Franz Joseph (Florian Teichtmeister) im Film einmal zu seiner Frau. Aber da hat er die Rechnung ohne Sissi gemacht! Schon einige Jahre zuvor hat Elisabeth durch eine Lungenkrankheit und die dadurch notwendigen Kuren im Reisen, eine Möglichkeit erblickt, sich dem Hof und ihren repräsentativen Pflichten mehr und mehr zu entziehen. Wir sehen in „Corsage“ eine freigeistige Frau, wie man sie in der Biografie „Die wilde Kaiserin“ von Wilma Pfeiffer erkennen kann. Sie zieht sich zurück aus der Gesellschaft, sucht sich ihre Freiräume, aber ist dadurch weder komplett fremd- noch selbstbestimmt – ohne innere Widersprüche geht es nicht. Denn so wie sie ihre passive Rolle als Frau ablehnt, so sehr versucht sie, einem Schönheitsideal ewiger Jugend zu entsprechen. Mit Anfang 30 entscheidet sie, sich nicht mehr fotografieren zu lassen, zehn Jahre später lässt sie sich nicht mehr malen. In der Öffentlichkeit verbirgt sie immer häufiger ihr Gesicht hinter einem Schleier, mitunter lässt sie sich von ihrer Friseurin und engsten Vertrauten bei öffentlichen Auftritten doublen. „Es ist doch wahnsinnig spannend, dass diese Frau quasi vor aller Augen verschwunden ist!“, sagt Regisseurin Marie Kreutzer über diese sehr frühe Selbstermächtigung einer Frau, die versucht, sich der medialen Öffentlichkeit und den mit ihrer Staatsrolle einhergehenden Pflichten zu entziehen.
Doch so ganz befreien kann sie sich von den gesellschaftlichen Ansprüchen nicht, die in ihr als allgemein für ihre Schönheit bewunderte Frau, tief verwurzelt sind. Ihre Haare und deren Pflege werden zu einem Fetisch, ebenso wie die permanente Diät und die sportliche Ertüchtigung. Auch die titelgebende Corsage ist Teil ihrer widersprüchlichen Kasteiung des eigenen Körpers zwischen Selbstermächtigung und Fremdbestimmung. „Wenn ich es angezogen habe, ich zugeschnürt wurde, war ich sofort traurig“, erzählt Hauptdarstellerin Vicky Krieps („Bergman Island“, „The Survivor“) von ihren Erfahrungen bei den Dreharbeiten. „Wenn ich es abgenommen habe, war ich wieder froh und konnte lachen. Das mag auch daran liegen, dass dort, wo das Korsett am meisten drückt, das Zwerchfell sitzt. Ich habe gelesen, dass da alle unsere Emotionen sitzen. Es war eine interessante körperliche Erfahrung, was das Tragen von Korsetts auch damals mit den Frauen gesamtgesellschaftlich getan haben muss.“ Kreutzer und Krieps verhelfen mit „Corsage“ der nur halb geglückten Selbstermächtigung zu einem späten Erfolg: Auch die Elisabeth, die Vicky Krieps verkörpert, hadert und zweifelt, aber sie kämpft, wenn nötig, mit den Mitteln der Gegenwart. Das kann dann auch mal ein vehementer Schlag auf die Tischplatte sein – man kennt ihre faszinierende Mischung aus Zartheit und Energie von ihrer fantastischen Darbietung in Paul Thomas Andersons „Der seidene Faden“, oder auch ein zeitgemäßer Fuckfinger. Denn der Kampf um Freiheit geht ja nie zu Ende.

(Christian Meyer-Pröpstl)

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