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Audition

Audition
Japan 1999, Laufzeit: 115 Min.
Regie: Takashi Miike
Darsteller: Ryo Ishibashi, Eihi Shiina, Miyuki Matsuda, Renji Ishibashi

Über Kritiker heißt es mitunter, sie seien gefürchtet. Nun, als Filmkritiker fürchte ich nur eines und das sind Filmkritiken. Nichts gegen die Arbeit der lieben Kollegen, aber wer garantiert mir, dass sie mir nicht genau das Bisschen Zuviel erzählen, das ausreicht, um mich um das Vergnügen des ersten Ansehens zu bringen? Diese Erkenntnis verdanke ich meiner Kindheit und jenem Tag, als Alfred Hitchcocks "Verdacht" im Fernsehen lief. Ein Kritiker schrieb über den Star Cary Grant und dass er auch diesmal wieder den Guten spiele - was für nachhaltig jeden vom Meister so kunstvoll gesetzten Schatten des Zweifels an seiner Figur im Keim erstickte. Nie mehr hat mir der Film danach gefallen, und ich fühlte mich fortan wie eine andere Hitchcockfigur: "Der Mann der zuviel wusste". Seither lese ich in der Zeitung vorsichtig um alle Artikel herum, die von Filmen erzählen könnten. Glücklicherweise geht das nicht allen Menschen so. Ganz im Gegenteil: Viele weigern sich förmlich, ein Kino zu betreten, wenn sie nichts über den Film wissen, der dort läuft - und sichern mir damit mein Auskommen. Bei dieser Gelegenheit übrigens dafür von dieser Stelle vielen Dank. Auch Sie möchten jetzt sicherlich endlich etwas über "Audition" erfahren. Tatsächlich ist dieser meisterhafte japanische Thriller aber genau die Sorte Film, über die man um nun wirklich nicht zu viel wissen sollte. Andererseits ist es aber auch die Sorte Film, vor der manche Leute gewarnt werden wollen, oder sie werden ihr Lebtag mit demjenigen, der sie dazu überredet hat, nie wieder ins Kino gehen. Die ersten 45 Minuten lassen sich erzählen, ohne größeren Schaden anzurichten. In einer kunstvoll emotioanalisierten Eröffnungsszene verliert Aoyama seine Frau. Sein Sohn ist noch mit Geschenken ins Krankenhaus gekommen, aber es ist bereits zu spät. Erst sieben Jahre später entschließt sich der Mann, etwas gegen die Leere in seinem Herzen zu unternehmen, und ein befreundeter Fernsehproduzent bietet seine Hilfe an: Bei einer Audition, einem Vorsprechen für die weibliche Hauptrolle einer Serie, würde er ja vielleicht eine Frau nach seinem Geschmack finden. Dieser Teil des Films ist so leicht und familiengerecht inszeniert, dass er uns so ebenso arglos in die Katastrophe tappen läßt wie den armen Aoyama. Keine der Frauen kann ihn in irgendeiner Weise berühren, bis er Asami sieht: Schon das Bewerbungsschreiben, in dem die höchst attraktive, aber mädchenhaft-scheu wirkende junge Frau von ihrer Todeserfahrung erzählt hat ihn tief berührt. Um Asami ist es geschehen, auch wenn jeder ihm dringend abrät: Alle Informationen über ihren Lebenslauf erscheinen suspekt, ihr letzter Arbeitgeber ist spurlos verschwunden. Nach langem Zögern greift Aoyama zum Hörer und wählt ihre Nummer. Glasklar und schüchtern antwortet am anderen Ende die geliebte Stimme. Nur wir aber sehen, was Aoyama nicht wissen kann: Während sie sich gespenstisch die langen Haare kämmt, rührt sich auf dem Fußboden ein Paket mit menschlichem Inhalt... Sehen Sie, das haben Sie jetzt von Ihrer Neugier: die erste Gänsehaut, die diese völlig unerwartete Aufnahme nach dem langen Anfang bereithält, ist ihnen entgangen. Da aber schon das über Gebühr mitteilsame Filmplakat einer mit Spritze und Handschuh hantierenden Asami den Schatten des Zweifels aufwirft, soll dies erlaubt sein. Ohnehin bietet das meisterhafte Drehbuch von Koji Endo, Sohn des Regie-Altmeisters Imamura, noch so viele unerwartete Verdichtungen, dass man bis zur letzten Minute gefordert wird. Die härteste Prüfung aber ist dabei die Konzentration auf elementare Schmerzvorstellungen, die Regie-Jungstar Takashi Miike in einer Weise evoziert, die kaum durch Wegsehen zu lindern ist. Mehr und mehr verschwimmt die äußere Logik der Ereignisse, und wer will, der kann sich die schlimmsten Folterszenen lediglich als Verbildlichung des Unterbewusstseins des Protagonisten vorstellen. Das macht das Zuschauen nicht leichter, aber genau darin aber liegt die Perfidie und Genialität dieses meisterhaften Films - in seiner Radikalität durchaus Oshimas Klassiker "Im Reich der Sinne" vergleichbar: Nichts ist so furchtbar, wie unsere eignen Angstvorstellungen, denen Miike mitunter nur in Form eines Geräuschs oder eines blitzartig aufscheinenden Details ihr Futter zuführt. So zwingt er, nicht anders als einst Hitchcock, den Zuschauer zur Nahrungsaufnahme schmerzlichster Information. So wie das nun einmal ist mit Dingen, die man eigentlich niemals wirklich wissen wollte.

(Daniel Kothenschulte)

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