Annette
Frankreich, Mexico, USA, Schweiz, Belgien, Deutschland, Japan 2021, Laufzeit: 140 Min., FSK 12
Regie: Leos Carax
Darsteller: Adam Driver, Marion Cotillard, Simon Helberg
>> annette-derfilm.de/
Abgründiges Musical über toxische Beziehungen
Schleichendes Gift
„Annette“ von Leos Carax
„Laugh, laugh, laugh“, quakt es spöttisch von der Bühne, als stünde dort leibhaftig der Joker. Es ist aber nur der Comedian Henry McHenry (Adam Driver), mit Morgenmantel und Pantoffeln, einer langen wilden Mähne und einer mächtigen Statur, der wie eine düstere Version von Chilly Gonzales wirkt. McHenry liefert sich ein böses Duell mit seinem Publikum und nutzt jede Chance für eine Grenzüberschreitung. Da wundert sich die Welt schon sehr, dass er die neue große Liebe der zarten Opernsängerin Ann (Marion Cotillard) ist. Ihre Liebe ist groß, und bald kommt mit Annette der Nachwuchs. Und die Probleme …
Leos Carax hat generell eine Neigung zum Überkünstlichen, Übergroßen. Wahrscheinlich ist das der Grund dafür, warum er im Schnitt nur alle zehn Jahre einen Langfilm fertigstellt. Nach zwei Filmen in den 80er-Jahren stockte es schon bei der Produktion des opulenten „Die Liebenden von Pont-Neuf“ (1991). „Pola X“ erschien 1999, „Holy Motors“ 2012 und nun „Annette“, sein erster englischsprachiger Film – ein Musical. Doch auch wenn die Entwicklung von den tanzwütigen „Liebenden“ über den hermetischen „Holy Motors“ mit einem Auftritt von Kylie Minogue und einem Song der Sparks logisch erscheint, kam die Idee zu dem Musical nicht von Carax, sondern von eben jenen Sparks. Das Duo, bestehend aus den Brüdern Ron und Russel Mael, macht seit den frühen 70er Jahren überkandidelten Pop. Gerade war Edgar Wrights Doku „The Sparks Brothers“ im Kino zu sehen. Schon vor zehn Jahren haben sie eine Art Musical für das Radio geschrieben, wegen der vielen Figuren konnten sie damit aber nicht touren. In Cannes trafen sie dann ihren Fan Leos Carax und erzählten ihm von ihrer neuen Idee – dem Musical „Annette“ mit weniger Hauptfiguren, um damit auf Tour gehen zu können. Auch schön, aber Carax interessierte das Projekt natürlich wesentlich mehr als Film. Der wird nun von den Sparks auf der Metaebene eröffnet, wie sie „So may we start“ singen und dabei den Cast des Films einsammeln, bis er dann endlich startet, der Film.
Und dann fügt sich alles wie von selbst: Klar klingt die Musik der Sparks nach Musical! Natürlich passt auch Carax‘ Inszenierungsstil perfekt zu einem Musical. Und selbstverständlich ist hier nichts gewöhnlich, sondern wir erleben in gut zwei Stunden, wie die Protagonisten von einem beflügelten „We love each other so much“ bis hin zu einem tieftraurigen, ernüchterten „Now you have nothing to love“ in den Abgrund geschritten sind. Einige bleiben dabei ganz wörtlich auf der Strecke, andere werden ausgenutzt und missbraucht. Die toxische Männlichkeit nimmt hier einen Ehrenplatz ein, die skandalhungrige Medienwelt applaudiert. Einer der wenigen Hoffnungsschimmer ist die Selbstermächtigung der Titelheldin, die in einem so berührenden wie verstörenden Finale mündet, in dem auch der irritierendste Kunstgriff dieses zwar plakativen, an Finessen aber nicht armen Filmes – die Besetzung von Annette – plötzlich eine zwingende Logik offenbart. Henry, dessen Karriere schon lange den Bach runter gegangen ist, ist ganz alleine. Und es lacht schon lange niemand mehr, weder mit ihm noch über ihn.
(Christian Meyer-Pröpstl)
Zermürbte Gesellschaft
choices preview zu „Critical Zone“ im Odeon – Foyer 11/24
„Mir wurden die Risiken des Hebammenberufs bewusst“
Katja Baumgarten über ihren Film „Gretas Geburt“ – Foyer 11/24
Die ganze Palette Kino
9. European Arthouse Cinema Day – Festival 11/24
Nach Leerstellen suchen
„Riefenstahl“ im Weisshauskino – Foyer 11/24
Kunst des Nicht-Wegschneidens
„Anna Zeit Land“ im Filmforum – Foyer 10/24
Liebe und Macht
choices preview zu „Power of Love“ in der Filmpalette – Foyer 10/24
Schnitte in Raum und Zeit
Die 24. Ausgabe des Festivals Edimotion in Köln ehrt Gabriele Voss – Festival 10/24
Restitution von Kolonialraubkunst
„Dahomey“ und „The Story of Ne Kuko“ im Filmforum – Foyer 10/24
„Die Geschichte ist jetzt unfassbar aktuell“
Regisseur Andreas Dresen über „In Liebe, Eure Hilde“ – Gespräch zum Film 10/24
Die hemmungslose Leinwand
Sexualität im Kino – Vorspann 10/24
„Zuhause sehnen wir uns nach der Ferne...“
Kuratorin Joanna Peprah übers Afrika Film Fest Köln – Festival 09/24
Afrikanisches Vermächtnis
Das 21. Afrika Film Festival widmet sich dem Filmschaffen des Kontinents – Festival 09/24
Kurzfilmprogramm in der Nachbarschaft
„Kurzfilm im Veedel“ zeigt Filme zu aktuellen Themen in Köln – Festival 09/24
Sorge um die Filmkultur
Veränderungen und Einsparungen stehen vor der Tür – Vorspann 09/24
Disziplin, Drill und Durchlässigkeit
„Mädchen in Uniform“ im Filmforum – Foyer 08/24
Volles Programm(heft)
40-jähriges Jubiläum der Internationalen Stummfilmtage Bonn – Festival 08/24
Sommer-Endspurt
Humor und Weltrettung für Jung und Alt – Vorspann 08/24
Der Sieg des Glaubens
„Führer und Verführer“ im Odeon mit Regisseur Joachim Lang – Foyer 07/24
Queere Menschen in Polen
„Boylesque“ im Filmhaus – Foyer 07/24
Pssst!
Zu Spoilern, Prequels und Remakes – Vorspann 07/24
„Es geht um Geld, Gerechtigkeit und Gemeinschaft“
Regisseurin Natja Brunckhorst über „Zwei zu eins“ – Gespräch zum Film 07/24
Ein Fest des Kinos
Die Kölner Kino Nächte präsentieren an 4 Tagen knapp 50 Filme – Festival 07/24
Der Tod, der uns verbindet
NRW-Premiere von Eva Trobischs „Ivo“ – Foyer 06/24
Die schwierige Situation in Venezuela
„Das Land der verlorenen Kinder“ im Filmhaus – Foyer 06/24
Sternenkriege und Weißer Terror
Volles Sommerkinoprogramm – Vorspann 06/24