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Amrum

Amrum
Deutschland 2025, Laufzeit: 93 Min., FSK 12
Regie: Fatih Akin
Darsteller: Jasper Billerbeck, Diane Kruger, Laura Tonke

Atmosphärisch dichte Verfilmung eines autobiografischen Romans

Stunde Null
„Amrum“
von Fatih Akin

Eigentlich wollte der 1939 in Hamburg geborene und auf Amrum aufgewachsene Schauspieler, Drehbuchautor und Regisseur Hark Bohm seinen 2024 erschienenen autobiografischen Roman „Amrum“ selbst verfilmen. Doch dann stoppten die Wehwehchen des Alters den mittlerweile 85-Jährigen und er tat sich mit Fatih Akin zusammen. Gemeinsam schrieben sie das Drehbuch, Akin übernahm die Inszenierung – und Hark Bohm steht in der letzten Einstellung des Films am Amrumer Kniepsand, einem der breitesten Sandstrände Europas, blickt mit jener Mischung aus Melancholie und Stolz in die Kamera, die ein erfülltes (Film-)Leben erahnen lässt.

So ergibt auch die Texteinblendung im Vorspann einen Sinn: „Ein Hark Bohm Film von Fatih Akin“. Denn Akins Mentor und Freund hat deutsche Filmgeschichte geschrieben, gehörte in den 1970er- und 1980er-Jahren zu den wichtigsten Vertretern des Neuen Deutschen Films. Der über ein Jurastudium zum Film gekommene Hanseate machte sich vor allem als Darsteller in Fassbinder-Filmen („Berlin Alexanderplatz“) und als Regisseur authentischer Jugenddramen („Moritz, lieber Moritz“) bzw. mit Filmen über aktuelle, gesellschaftspolitische Themen („Der Fall Bachmeier – Keine Zeit für Tränen“) einen Namen. Nun hat sich der große Humanist des deutschen Nachkriegskinos in die Hände seines jungen Kollegen begeben – und Akins bisher eher extrovertierter Inszenierungsstil ist dem zurückgenommenen Regiestil seines Mentors gewichen.

So erzählen die beiden fast leise die Geschichte einer Kindheit auf dem Scheitelpunkt zwischen Krieg und Frieden. Kongenial unterstützt von den atmosphärisch stimmigen Bildern von Kameramann Karl Walter Lindenlaub, der eleganten Montage von Fatih Akins Stamm-Schnittmeister Andrew Bird und den dezent-experimentellen Klängen des Komponisten Stefan Paul Goetsch alias Hainbach, der für „Amrum“ seine erste Filmmusik schrieb.

1945: Zusammen mit seiner hochschwangeren Mutter Hille (Laura Tonke), seinen beiden jüngeren Geschwistern und seiner Tante Ena (überzeugend: Lisa Hagmeister) musste der 10-jährige Nanning (Jasper Billerbeck) aus dem zerbombten Hamburg auf die Nordfriesischen Inseln fliehen. Sein Vater, ein hoher Nazi-Funktionär, befindet sich in Kriegsgefangenschaft. Während Flüchtlinge aus Schlesien im Dorf einquartiert werden, machen erste Gerüchte vom nahenden Ende des Krieges die Runde. Hille, eine fanatische Nationalsozialistin, versucht Nanning mit Durchhalteparolen („Wer vom Ende des Krieges redet, der fällt unseren Soldaten in den Rücken“) bei der ideologischen Stange zu halten, verfällt nach der (Radio-)Nachricht von Hitlers Tod aber immer mehr in Depressionen („In was für einer Welt sollen unsere Kinder jetzt groß werden?“), verliert beinahe ihr Baby. Nanning versucht derweil, mit kleinen Arbeiten bei der Nachbarsbäuerin Tessa (wunderbar schnippisch: Diane Kruger) und dem Fischer Sam Gangsters (wie gewohnt herrlich skurril: Detlev Buck) – dem er die Robbe mimt, um paarungswillige Seehunde aus dem Wasser zu locken – seiner Mutter ihren Herzenswunsch zu erfüllen: ein Weißbrot mit Butter und Honig. Aber dafür muss er bei Ebbe das Watt nach Föhr durchqueren, um in Pimpf-Uniform beim Nazi-Onkel Onno (schön fies: Jan Georg Schütte) mit Hitlerjugend-Parolen um Zucker zu betteln.

Akin und Bohm beobachten sehr genau die ideologische Vergiftung ihrer Figuren, die selbst vor den Landsleuten aus Schlesien und sogar den Hamburgern nicht Halt macht. Bis in pittoreske Details hinein porträtieren sie das Inselleben, was „Amrum“ bisweilen einen dokumentarischen Touch verleiht. Im Mittelpunkt dieser Reise in die Kindheit und politische Vergangenheit, die unaufdringlich auch die gegenwärtigen gesellschaftlichen Verwerfungen miteinbezieht, steht aber die Empathie, mit der Regie und Buch ihre – bis in die kleinste Nebenrolle glaubwürdig ausgearbeiteten – Figuren zeichnen. Selbst den Bösen unter ihnen haftet so noch ein Hauch von Menschlichkeit an.

„Amrum“ steht und fällt natürlich mit der beeindruckenden Leinwandpräsenz des Debütanten Jasper Billerbeck, der mit seinen Augen und seiner Mimik manchmal mehr ausdrückt, als Dialoge es sagen könnten. Laura Tonke macht ihre zwischen Verblendung und Verzweiflung angelegte Mutterrolle geradezu schmerzlich erfahrbar für den Zuschauer. Ebenso fügen sich die Stars in ihren Gastauftritten harmonisch ins präzise gecastete Ensemble ein.

(Rolf-Ruediger Hamacher)

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