Beim Titel „Die Prinzessin kommt um vier“ gehen bei mir zunächst die Alarmglocken an. Schon wieder eine Prinzessinnengeschichte, denke ich. Doch zu Unrecht: Diese Prinzessin hat es in sich. So starren die Kinder gebannt und gleichzeitig angewidert auf die Bühne: Dort befindet sich das Schrecklichste aller Tiere – eine unattraktive Hyäne. Vielmehr ist es ein abgerissener Kopf, der erst von einem Zweig hinunterbaumelt, dann wahlweise das Gesicht von Schauspielerin Jennifer Ewert ziert, die eine Symbiose mit dem Tier eingeht, bevor sie weitere überraschende Perspektiven einnimmt.
Mit Sabber am Maul macht sie sich über tierische Kadaver her, beutet diese aus. Die Hyäne ist ein hinterlistiger Aasgeier, zu faul zum Töten, stiehlt sie lieber die Beute anderer. Ihr durch den chronischen Verzehr von vergammeltem Fleisch entstandener Mundgeruch ist bestialisch. Ihr Fell bräuchte dringend einen Friseurtermin. An ihrem Mund klebt Blut. Und dann lügt sie auch noch wie gedruckt. So heißt es jedenfallls. Wer würde diese Dame zum Kaffeetrinken einladen.
Die auf der Bilderbuchgeschichte von Wolfdietrich Schnurre beruhende, abgeänderte Theater-Adaption konzentriert sich absichtlich auf das vermeintlich Hässliche und Andersartige und nähert sich damit einem auch aktuell wieder aufblühenden Mechanismus: nämlich Lebewesen zu denunzieren, weil ihr Aussehen vom gängigen Schönheitsideal abweicht. Weil sie anders essen als der Durchschnittsbürger. Unappetitlich. Aber wer oder was ekelerregend ist, ist rein subjektiv und spekulativ.
Trotz Härte des Themas – und das ist die Kunst – gelingt es dem Comedia-Theater, unter der Regie von Andrea Kramer des Consol Theaters Gelsenkirchen, es kindgerecht auf die Bühne zu bringen, ohne zu sehr zu verniedlichen oder zu verkitschen. Selbst die Musik ist glücklicherweise kein Schlager, sondern entweder schön oder lustig. Denn: „Alle unsere Inszenierungen und damit auch SpielerInnen in ihrer Arbeit nehmen das Publikum ernst – egal wie alt es ist“, so Astrid Hage, die die Pressearbeit des Comedias leitet. „Wir haben den Anspruch, gutes Theater zu machen, nicht ‚nur‘ Kindertheater.“
So liefern sich die Hyäne (Jennifer Ewert) und ihr Gegenpart, der menschliche Gastgeber (Till Beckmann), einen humorvollen Dialog, der mal aus erfundener Kunstsprache besteht, die ein wenig an die fiktive Sprache der Peanuts erinnert. Ein anderes Mal scheint es ein reiner „Wer-macht die-komischsten-Geräusche“-Wettbewerb zu sein. Dann wieder machen sich die beiden Vorhaltungen: Schließlich stinkt die Hyäne nämlich „wie ein altes Hundeklo mit vollgeschwitztem Schleimbeutel-T-Shirt,“ wie ihr Date dies netterweise beschreibt. Es ist ein langer, zäher Kampf, den die Hyäne bestehen muss, bis sie endlich mal einen Kaffee serviert bekommt – weshalb sie schließlich vorgibt, in Wahrheit eine Prinzessin zu sein und sich nur durch eine Einladung verwandeln zu können. Doch damit hat sie sich selbst ein Ei gelegt. Nun muss sie sich wohl oder übel in eine Prinzessin verwandeln, bevor sie auch nur ansatzweise daran denken kann, irgendetwas von ihrem Gastgeber zu bekommen. Also legt sie sich etwas Schminke auf und zieht ein rosafarbenes Kleidchen über einem Bikini an. Aber: Die Transformation funktioniert nicht ganz. Irgendwie sieht das Kleidchen etwas albern an ihr aus.
Das Kaffeetrinken entpuppt sich als nicht sonderlich romantisches Date. Eher ist es seltsam und spektakulär. So darf der Hausherr seiner recht emanzipiert wirkenden Herzensdame einen Kaffee und Kuchen nach dem anderen reichen. Gierig und grotesk verschlingt jene alles hintereinander weg, seltsame Schmatzgeräusche von sich gebend. Durch den Theatersaal fliegen zahlreiche Krümel sowie Blüten, die zuvor noch zart den Tisch zierten. Eine gelungene Mischung aus „Das perfekte Anti-Dinner“, Loriots irritierende Nüdelchen beim Date mit Hildegard und ein bisschen auch „Dinner for One“. Das junge Publikum lacht.
Am Ende resumiert die Hyäne: „Alle wollen immer nur eine Prinzessin. Ich bin aber nun mal keine.“ Denn dann wäre sie nicht sie. Viel zu sehr müsste sie sich dazu verbiegen. Schließlich tanzen die beiden vereint und die halbgare Prinzessin darf immer noch ein wenig ihre innere Hyäne stehen. Kein kitschiges Happy End, sondern eine halb-transformierte Hyäne und keine perfekte Glanzbild-Prinzessin. Dieses ist wohl eines der komischsten Dates und Paare, die man je gesehen hat.
Das Kinderpublikum wird am Ende einbezogen, stellt viele Fragen – wie: „Waren die Muffins echt?“ Antwort der Schauspielerin: „Ja. Manchmal muss ich bis zu 16 am Tag essen.“ Und: „Sind Hyänen in Wirklichkeit nicht kleiner als Menschen?“ Antwort: „Nein. Sie können über sich hinauswachsen.“ – „Die Prinzessin kommt um vier“ ist eine Hommage an die Andersartigkeit, an Toleranz und ein gelungener Ansatz, Kinder als Publikum ernst zu nehmen. Unserer oberflächlichen Wettbewerbsgesellschaft zu sagen: Sei du selbst. Sei nicht eine beschissene Kopie einer Prinzessin. Egal, wo die Nudel im Gesicht hängt.
„Die Prinzessin kommt um vier: Gäste sind was Wunderbares“ (ab 4 J.) | R: Andrea Kramer | 16., 17.3. je 15 Uhr, 17.3. 17 Uhr, 24., 25.4. & 14.-16.5. je 10.30 Uhr | Comedia | 0221 888 77 222
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