Bei der ortsspezifischen Führung durch die Installation „THE MOUNT OF HERCULES“ auf dem Kölner Herkulesberg setzte sich der Künstler Yochai Avrahami aus Tel Aviv kritisch mit staatlich geförderten Holocaust-Gedenkkulturen auseinander. Dabei nutzte er das noch sehr junge Kunst-Format der Lecture-Performance. Diese Mischform von Wissenschaft und Kunst stellt eine außergewöhlich performative Form des Wissenstransports dar. Die Besonderheit der Methode: Es besteht die Möglichkeit, Wissen und Denken zu dramatisieren und auf vielfältige künstlerische Art und Weise zugänglich zu machen. So wirkten bei der Performance des Künstlers verschiedene Vortragsaspekte zusammen, wie die Arbeit mit Licht, dem gesprochenen Vortrag, die Einbindung von großformatigen Bildern zur Ansicht und die Ortswahl, sodass eine eindrucksvolle Gesamtinszenierung entstand.
Zur frühen, jedoch bereits in Dunkelheit getauchter Abendstunde folgen die mit Taschenlampen ausgestatteten Besucher Avrahami, der zielstrebig ein kleines, weiß verhangenes archäologisches Zelt auf dem Kölner Herkulesberg ansteuert. Die Wahl des Ortes ist kein Zufall, denn der Herkulesberg verbirgt unter seinem riesigen Bauch ein trauriges Zeugnis von Historie: Die Trümmer und den Schutt der Stadt, der nach dem Krieg zu künstlichen Bergen zusammengekehrt wurde. Der größte dieser Berge ist der Kölner Herkulesberg. Dort war ursprünglich auch die Installation eines Denkmales von Gerhard Marcks geplant, der 1949 in der Kölner Kirche St. Maria im Kapitol seine Statue Die Trauernde installierte, die den Opfern des Krieges gewidmet ist – allerdings wurden diese Pläne nie in die Tat umgesetzt. Die temporär begrenzte Installation von Avrahami ist zwar kein Ersatz für solch eine Gedenkstätte, doch regt die künstlerische Auseinandersetzung zu einer wichtigen neuen Bewusstwerdung des Themas an.
Auf den Wegen dieses geschichtsträchtigen Berges hält der Künstler immer wieder an, zeigt Bilder von Ausstellungen von überall auf der Welt, die sich mit dem Holocaust beschäftigen, und führt so in die Welt der musealen Erinnerungskultur ein.
Im Museum der „Grausamkeiten“, im archäologischen Zelt, angekommen, zeigt Yochai Avrahami auf großen Staffeleien weitere Bilder, die von unterschiedlichster Ausstellungspraxis zeugen. Bilder und Lecture-Performance ergänzen sich so zu einer Darstellung. Mit jedem weiteren Bild bekommen die Besucher langsam ein tieferes Verständnis für die Bedeutungen, die Geschichten und die sehr unterschiedlichen Ausstellungsformate. Beispiele für die Darstellung des Holocaust in Museen gibt es zuhauf – die Beispiele der Stilmittel, die Ausstellungen ‚ideologisch einfärben‘, sind dabei so differierend wie der Umgang mit Historie selbst. Avrahami zeigt schlichte Bildergalerien, die Geschehenes nahezu unkommentiert präsentieren. Zu den ‚neutraleren‘ Formaten gehören auch Infotafeln, mittels derer versucht wird, den Holocaust in Zahlen und Worten auszudrücken – ein nicht umsetzbares Vorhaben. Im Gegensatz dazu stehen diejenigen Formate, welche ein Konzept des „Museums der offenen Wunde“ verfolgen, hier zeugen die Bilder von einer drastischeren Bildsprache: Fotografien von Opfern zum Beispiel, die kein Detail der Gräueltaten der Shoah auslassen. Wieder andere Ausstellungen arbeiten mit Formaten, die die Sinne der Besucher direkt ansprechen und Emotionen auslösen sollen. Riesige Kreise oder Ringe als Kunstobjekte, die auch als begehbare Exponate existieren, reihen sich wie Zwiebelringe aneinander, drücken Erinnerungskultur höchst abstrakt aus, strahlen eine Symbolkraft aus, derer sich niemand erwehren kann. Avrahami deutet auf eine Fotografie, die die Installation von Balken über einem tiefen Abgrund zeigt – das Ausstellungselement ist unmittelbar erfahrbar – in den Menschen, die auf diesen Balken stehen, entfesseln sich sofort Gefühle wie Angst oder Verzweiflung. Solche Konzepte zielen bewusst darauf ab, den Besucher „am eigenen Leibe“ den Schmerz und die Verzweiflung der Opfer des Holocaust spüren zu lassen. Hier setzt Avrahami leise mit einer Kritik an. Diese Formate verfügten über ein sehr geringes Maß an Objektivität, der Besucher würde manchmal gar manipuliert, sodass er sich am Ende schuldig fühle, für etwas, für das ihn keine Schuld treffe. Avrahami beweist, dass viele der Ausstellungsformate der „offiziellen“ Gedenkstätten ideologisch behaftet sind. Ein weiterer sich langsam heraus kristallisierender Punkt: Museumskultur ist oft zu statisch, universalisierende Ansprüche böten oftmals zu wenig Offenheit für zukunftsgewandte Museumsformate. Dargestellte Erinnerungskultur in den Museen bedarf einer stetigen Erneuerung, da auch die Zeit einem stetigen Wandel unterliegt. Sich selbst überholende technische Darstellungsmittel sind nur ein Beispiel innerhalb einer kritischen Auseinandersetzung mit Erinnerungskultur in staatlich geförderten Gedenkstätten.
Die Gedanken einer potenziellen Neuerschließung von Erinnerungskultur begleitet Avrahami mit performativen Elementen – so nutzt er das Licht der Taschenlampen, instruiert die Besucher immer wieder als Lichtquellen, ruft zu Lichtspielen auf und nutzt simultan dazu die dem Licht eigene Symbolkraft von Helligkeit und Dunkelheit. Der Ort ist also nicht die einzige Komponente der Lecture-Performance, die mit Bedacht gewählt ist, auch die tageszeitbedingte Dunkelheit ist Teil des künstlerischen Konzepts.
Das Ende der Führung kommt plötzlich. Avrahami öffnet die Reißverschlüsse des Zeltes zur Rückseite und verteilt Bilder, die er improvisiert an die Bäume lehnt. In einigen letzten Sätzen bezieht er sich auf die aktuellen Debatten über die archäologische Zone und das jüdische Museum in Köln, zu denen der Künstler bewusst keine eigene Positionierung vornimmt. Die Fotografien, die die verschiedenen Positionen in diesen Debatten darstellen, wirken etwas verloren, so verstreut wie sie hingestellt wurden. Als die Besucher ihre Taschenlampen auf die Bilder richten, wird unter anderem eine Fotografie der Kanzlerin in warmes Licht gehüllt. Während die Blicke noch auf den aufgestellten Fotografien liegen, entschwindet der Künstler leise zwischen den Bäumen…
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