„Ein toll produziertes Beispiel für lebendige, aufregend gestaltete Wissensvermittlung“, lautet das Resümee unserer Kritik zu der Doku „Zwischen Himmel und Eis“, die Ende November anläuft. Und ja: Der Dokumentarfilm ist schon lang mehr als trockenes Schulfernsehen und bildet inzwischen eine gewachsene, stabile Konstante auf unseren Leinwänden. An sich gelten für ihn die gleichen Regeln wie genreübergreifend für alle cineastischen Ansätze: Er muss sich die Leinwand verdienen. Er darf nicht langweilen. Wir sind im Kino, nicht in der Schule! Und so ist der Dokumentarfilm wie der Spielfilm gefordert, nicht nur neue, relevante Inhalte zu liefern, sondern darüber hinaus seine inszenatorische Ausrichtung regelmäßig zu ergründen und zu variieren. Auch der dokumentarische Film ist eine kreative Spielwiese. Schon längst darf er mehr als bloße Fakten darlegen oder als Dokudrama nachstellen. So auch in unserem vorweihnachtlichen Kinomonat.
„Zwischen Himmel und Eis“ von Luc Jacquet gestaltet sich dabei noch vergleichsweise klassisch. Aber nur auf den ersten Blick. Der Film über Expeditionen in der Antarktis liefert nämlich mehr als bloß wissenschaftliche Erkenntnisse, er rückt darüber hinaus den Menschen dahinter in den Fokus, beleuchtet neben der Welt auch das Lebensgefühl einstiger Forscherpioniere. Wissenschaft als Abenteuer. So sollte Schulfernsehen aussehen. Lebendig und aufregend. Pädagogisch wertvoll. Wenn nicht gar „besonders wertvoll“, ein Gütesiegel, das oftmals bloß auf Inhalte ausgerichtet ist und weniger auf die Qualität der Inszenierung. Gleiches gilt für „Der Perlmuttknopf“. Ein Dokumentarfilm, der sich seinem Thema vergleichsweise assoziativ nähert. Der von Chile erzählt, von dem Völkermord an den Ureinwohnern bis hin zu den Massenmorden unter Pinochet. Dessen Rahmen aber ein ganz anderes Element bildet: Das Meer. Die Kraft und das Gedächtnis des Wassers. Ein hypnotischer, beseelter Trip durch das Grauen und die Schönheit eines Landes. Ähnliches schließlich versucht im Dezember noch Ben Hopkins mit „Hasret – Sehnsucht“. Er taucht ein in die Seele Istanbuls. Ein Portrait der Stadt, das seinen eingeschlagenen dokumentarischen Pfad erst schleichend und dann spürbar verlässt, um am Ende erst über fiktionale Elemente das Herz Istanbuls zu ergründen. Das macht so kein Geschichtsbuch erfahrbar.
Der Dokumentarfilm wird dann interessant, wenn er nicht bloß erklärt, sondern auch erzählt, assoziiert. Wenn er nicht nur dokumentiert, sondern auch spielt. Und der Spielfilm? Was hat er jener fiktionalen Annäherung des Dokumentarfilms entgegenzusetzen? Nun: Die Fake-Doku. Das Spiel mit vermeintlich authentischem Material. „Paranormal Activity“ & Co. Auch das funktioniert. Und entlarvt damit alle Spielfilme jenseits der Fake-Doku gleich doppelt als Spiel. Absurd. Apropos absurd: Wenn die Antwort des Spielfilms auf den Dokumentarfilm die Fake-Doku ist – dann wäre die Antwort des Dokumentarfilms auf den Spielfilm der Fake-Spielfilm. Kann den mal bitte jemand drehen? Danke.
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