In keine Sprache der Welt lässt sich der deutsche Begriff der „Sehnsucht“ adäquat übersetzen. Aber die Menschen verstehen die Gefühle, die das Wort bezeichnet. Jenen Zustand, in dem das Herz zu reißen droht, vermag das englisch-spanische Choreographen-Paar Paul Lightfoot und Sol León imponierend in Bildern und Bewegung zu zeigen. Die beiden Chef-Choreographen des Nederlands Dans Theater präsentierten jetzt ihre prachtvolle Inszenierung „Sehnsucht“ als Gastspiel in der Kölner Oper. Träumend entsteht aus dem Kopf des Protagonisten ein Raum der Erinnerung, der von einem Paar bespielt wird, das sich im Konflikt von Nähe und Distanz aufreibt. Als sei die Welt von einem Schwindel erfasst worden, dreht sich der Raum vor aller Augen. Schließlich verlässt der männliche Teil des Paars den Raum, um in vielfacher Gestalt wieder zu erscheinen.
Die Musik zu diesem Tanzdrama – in dem Trauer und Lebensfreude immer spürbar bleiben, aber stets fest an die Kandare der ästhetischen Form genommen werden – ist den Klavierkonzerten Ludwig van Beethovens entnommen. Kraftvoll und zugleich mit strenger Eleganz agiert das Ensemble, es besitzt immer noch seine internationale Klasse und vermag der wuchtigen Emotionalität der Musik die Stirn zu bieten. Die technische Brillanz des Nederlands Dans Theater ist noch eine Spur höher anzusiedeln, als die vergleichbarer Kompanien aus Frankreich und England. Perfektion verbindet sich mit einer zurückgenommenen tänzerischen Selbstsicherheit, der eine delikate Ausdruckskraft innewohnt. Eine schwelende Erotik ist der Choreographie unterlegt. Männer und Frauen sind in nichts als schwarze Hosen gekleidet, aber gerade diese Uniformität macht die Unterschiede der Geschlechter umso deutlicher bewusst. Wenn an diesem Abend eine Pirouette getanzt wird, oder ein Pas de deux, dann schaut man hin, weil hier jede Geste mit eigenem Ausdruck getanzt wird.
Jene Mischung aus klassischem und modernem Tanz, die so manche Truppe in Europa auf technisch hohem Niveau zu tanzen vermag, besitzt bei den Niederländern nichts Museales. Lightfoot und León zeigen, wie das Vokabular der klassischen Tradition aus dem Körper von Männern und Frauen eine Sinnlichkeit freisetzen kann, die eben nicht in der Perfektion von Routine enden muss.
Im zweiten Teil des Abends präsentieren die Niederländer dann ihre Produktion „Schmetterling“, die Männer und Frauen wieder in subtil gestaltete Kostüme steckt, deren schwarzen Rockschößen diesmal feminine Akzente setzen. Freilich nur, um sie mit viel Humor wieder bis in die grotesken Momente der Comic-Bilder zu ironisieren. Hier darf jeder sein Solo tanzen. Eine Partie mit Witz, die aber in der Gesamtkomposition konventioneller bleibt, als die wuchtige Eröffnungschoreographie. Gleichwohl eine großartige Vorstellung, die das Kölner Publikum wie selbstverständlich von den Sitzen riss.
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