NRW ist das Land des Tanzes. Mehr als 100 Choreographen leben an Rhein und Ruhr, und die Landesregierung lässt jährlich über 800.000 Euro Produktionsgelder für die Tanzkunst springen. Vor allem jedoch nimmt das Publikum so unmittelbar an den ästhetischen Entwicklungen des modernen Tanzes teil, wie man es sonst nur in Berlin beobachten kann. Das Problem ist, dass die NRW-Truppen kaum einmal im eigenen Bundesland spielen. Man tritt in Oslo, Helsinki oder im Baltikum auf, wo deutsche Tanz-Kompanien fast schon Abonnementgäste sind. Aber in NRW kommen die Gruppen auf ganze drei Vorstellungen im Jahr, wie sie die Statistik des nrw-tanzbüros ausweist. Damit sich daran etwas ändert, hat man sich in Düsseldorf für eine Abspielförderung entschieden. Gute Idee, möchte man meinen. Nur beträgt die Förderung 28.000 Euro für alle Freien Kompanien zusammen.
28.000 gegen 800.000, ein Verhältnis, das zeigt, wohin der Zug fährt. „Die Künstler finanzieren sich nicht mit dem, was sie zeigen, sondern mit dem, was sie produzieren“, sagt Kajo Nelles vom nrw-tanzbüro. Tatsächlich wird auf Teufel komm raus an neuen Inszenierungen gearbeitet, während die Überlegung, von den Aufführungen – also vom Publikumszuspruch – zu leben, nicht weiter verfolgt wird. Dabei geht die Förderinitiative im Grunde in die richtige Richtung, um die künstlerisch fruchtbare Szene auch in der unmittelbaren Nachbarschaft zu etablieren. Gerade außerhalb der sechs institutionell geförderten Zentren (Bonn, Düsseldorf, Krefeld, Mülheim, Essen und Münster) könnte in Städten wie Aachen, Mönchengladbach, Duisburg, Paderborn oder Siegen das kulturelle Angebot um die Attraktion des Modernen Tanzes erweitert werden.
Künstlerförderung sollte dem Publikum zugutekommen, deshalb wird der Blick auf jene Bühnen gerichtet, die nicht zu den etablierten Orten des Tanzes zählen. So lässt sich der Tanz in die Breite tragen, und Choreographen wie Ben J. Riepe, Silke Z., Yoshi Shibahara, Gudrun Lange oder das Michael Douglas Kollektiv wissen zu begeistern, nicht umsonst verfügen sie über internationales Format. Eine Rechnung, die aufgeht, weil die Kompetenz des NRW-Publikums zum Motor der Tanzszene gehört. In dieser Beziehung liegen kulturelle Welten etwa zwischen NRW und Bayern.
Mit 28.000 Euro lassen sich jedoch keine Netze knüpfen. Bei fünf beteiligten Künstlern oder Technikern würde eine Produktion mit 1.000 Euro gefördert. Unterm Strich bedeutet das, nicht einmal alle Gruppen können ein einziges Gastspiel geben, und mehr als einen Abend im Jahr wird man davon auch nicht bestreiten können. Also bleibt die Förderung nicht mehr als ein Zückerchen, an dem einmal genascht werden darf, und so führt sich das Gastspielmodell denn aufgrund seiner geringen finanziellen Ausstattung selbst ad absurdum. Dass man es besser machen kann, zeigen die Niederlande. Dort erhalten die Kompanien einen großzügigeren Etat und müssen sich verpflichten, mindestens fünf Aufführungen in der Provinz zu veranstalten. Eine Milchmädchenrechnung, weil man nun überall im Land ein kulturelles Angebot erhält, das über das Niveau der großen Städte verfügt. Die Realisierung eines solchen Projekts verlangt Mut, aber sie verspricht auch eine Vitalisierung der kulturellen Szene bei einem insgesamt geringeren finanziellen Aufwand.
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