Seit mehr als 20 Jahren zeigen die „Impulse“ des NRW KULTURsekretariats die wichtigsten Produktionen des deutschsprachigen freien Theaters. Unter der künstlerischen Leitung von Tom Stromberg und Matthias von Hartz haben sich die Zuschauerzahlen seit 2007 mehr als verdoppelt. 2011 besuchten über 10.000 Zuschauer in zwölf Tagen rund 70 Veranstaltungen in Bochum, Düsseldorf, Köln und Mülheim an der Ruhr. Im nächsten Jahr leitet Florian Malzacher das biennale Festival.
choices: Herr Malzacher, braucht freies Theater – also Theater ohne eigene Immobilie – keine Impulse von außen mehr?
Florian Malzacher: Das ist etwas provokant formuliert, weil alle Impulse von außen brauchen. Aber dass freies Theater sich immer auf feste Häuser oder auf Ensembletheater bezieht und sich daran reibt, das ist nicht mehr richtig – wenn es je richtig war. Sondern es ist eine eigenständige Kunstform, die natürlich Impulse von überall aufgreift, so wie andere Kunstformen das auch tun.
Braucht es dann noch ein Festival im deutschsprachigen Raum?
Auch eine freie Szene braucht Strukturen, braucht Häuser wie das FFT in Düsseldorf oder den Ringlokschuppen in Mülheim. Sie braucht Proberäume und Festivals, auf denen sie Arbeiten präsentieren, sich austauschen und insbesondere nach außen zeigen kann.
Gibt es denn eine neue Entwicklung bei der schwierigen Finanzierung der „Impulse“?
Im Augenblick sieht es so aus, als würde sich der Stand nicht mehr verändern. Mit dem, wie es jetzt ist, müssen wir wohl oder übel leben. Ich gebe die Hoffnung noch nicht auf, aber die Zeit spielt natürlich gegen uns. Das Festival fängt in weniger als sechs Monaten an.
Warum hat die Kulturministerin des Landes NRW so brachial geantwortet?
Ich habe das Gefühl, dass da ein paar Dinge mit Strukturen und Beziehungen in NRW zu tun haben – und weniger mit dem Festival. Anders kann ich mir das nicht erklären. Das Festival ist wirklich die wichtigste Plattform für die freie Szene, deshalb kann sie diese brüske Abwehrdem Festival gegenüber eigentlich nicht so meinen.
Kann es sein, dass die Landesregierung zurzeit die gewachsenen Strukturen verändert und damit versucht, solitäre Strukturen unter einen Hut zu bringen?
Wahrscheinlich weiß ich immer noch zu wenig über all diese Geschichten, die im Hintergrund in NRW laufen. Aber natürlich ist das überall die Allzweckwaffe. Man will von McKinsey lernen: Wenn man alles zusammenlegt und damit vermeintliche Synergieeffekte schafft, glaubt man, dass das helfen würde. Aber insbesondere im Kulturbereich hat sich gezeigt, dass das ganz häufig nicht der Fall ist.Man muss ganz genau schauen: Was ist denn nun ähnlich, was ist vielleicht das Gleiche? Und die „Impulse“, ein Festival der freien Szene, ist ja nicht irgendwas, was man mit irgendwas anderem vermischen kann. Man würde ja auch nicht das Berliner Theatertreffen so einfach mal mit anderen Festivals zusammenlegen.
Ist es denn tatsächlich das bedeutendste Festival des freien Theaters im deutschsprachigen Raum, und was wäre, wenn es die „Impulse“ nicht mehr gäbe?
Es ist nicht nur das bedeutendste Festival, es ist überhaupt eine von sehr wenigen Möglichkeiten, die freie Szene zu präsentieren – auch international. In den letzten Jahren sind sehr viele Kollegen aus dem Ausland gekommen, um Arbeiten zu sehen und sie dann einzuladen. Das ist essentiell, nicht nur, weil diese Arbeiten ja auch außerhalb des deutschsprachigen Raums gezeigt werden sollen, sondern weil mittlerweile auch die Finanzierung für freie Gruppen sehr international funktioniert, das heißt, sie müssen über Festivals gesehen werden.
Also war eigentlich die Einführung der Biennalität schon ein unglaublicher Rückschritt?
Es gab wahrscheinlich sehr gute Gründe dafür, das biennal zu machen, weil dadurch erst mal mehr Geld da war.Wenn das jetzt nicht mehr der Fall ist, dann ist es einfach nur doppeljährig und das ist mit Sicherheit ein Rückschritt.Letztlich glaube ich, dass es für ein solches Festival besser ist, wenn es jährlich stattfinden kann, aber es muss ein richtiges Festival sein, sonst kommt international keiner mehr. Deshalb ist es verständlich, dass man es zweijährig macht, wenn nicht genug Geld da ist, dafür aber sein Angebot zusätzlich zum lokalen an ein internationales Publikum ausrichtet.
Sie hatten zum neuen Open Call sehr viele Einsendungen von Künstlern?
Ja, 300 Bewerbungen. Aber die sind noch nicht alles, wir sind darüber hinaus ja auch mit vielen im Gespräch, weil wir deren Arbeiten gesehen haben.
90 Prozent der Inszenierungen an Stadttheatern scheinen überflüssig, warum hält man Ihrer Meinung nach krampfhaft an dieser Struktur fest?
Ich weiß nicht, ob sie überflüssig sind, das ist sicher kein Zitat von mir. Aber ich glaube, dass an Stadttheatern sehr viel aus Routine produziert wird. Doch das passiert auch in der freien Szene. Ich finde diesen Kampf „freie Szene gegen Ensembletheater oder Stadttheater“ eigentlich nicht interessant, weil das meines Erachtens nicht die Gegnerschaft ist, auch finanziell nicht. Es ist ja nicht so, dass das einzige Geld, was für die freie Szene da sein könnte, aus den Stadttheatern kommen muss. Insofern glaube ich, dass sich das ganz gut ergänzt.
Da stellt sich die Frage, ob die freien Theaterinszenierungen besser sind.
90 Prozent der freien Arbeiten sind natürlich auch nicht besser. Worum es geht, ist, in beiden Bereichen die 10 Prozent zu finden. Das freie Theater hat die Möglichkeit, jenseits der festgefahrenen Strukturen zu denken, jenseits von Arbeitsstrukturen und ästhetischen Strukturen. Es hat da einen Innovationsvorsprung, weil es schneller und wendiger ist und sich andere Dinge ausdenken kann. Da ist das Stadttheater manchmal etwas langsamer ...
... und kauft dafür viel von der freien Szene ein. Wird sich das in der Zukunft noch verstärken?
Wenn die freie Szene weiterhin so ausgestattet ist wie jetzt, wenn man zum Beispiel ihre wichtigen Festivals nicht unterstützt, dann wird sie sich nicht weiterentwickeln. Das fällt ja nicht vom Himmel. Das hat ja auch was mit Förderstrukturen und Möglichkeiten zu tun. Wenn die freie Szene sich nicht entwickeln kann, dann wird es sicherlich nicht möglich sein, davon weiterhin was fürs Stadttheater abzuziehen.
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