Am Ende bleibt auch der Avantgarde nur die Malerei, nichts mehr als Malerei. So könnte das Resümee der Retrospektive (mehr als 300 Gemälde, Grafiken und Skulpturen in 13 Werkgruppen) des großen russischen Malers Kasimir Sewerinowitsch Malewitsch (1879-1935) in der Bundeskunsthalle in Bonn aussehen, wenn da nicht doch irgendeine Ahnung von revolutionärem Aufbegehren zu spüren wäre in den letzten Portraits, mit der staatlichen Anordnung im Genick, endlich zum Sozialistischen Realismus zu finden. Realismus ja, aber sozialistisch? Nein. Das zeigt überdeutlich der erste Raum in dem Früh- und Spätwerk sich treffen, gleich hinter dem Schulbuch-Eyecatcher „Suprematismus“ (Selbstportrait in zwei Dimensionen, 1915).
Also erst mal hinein in den Aufbruch in die Moderne. Noch sind es flächige realistische Strukturen mit denen Malewitsch die „Flanierende Gesellschaft“ (Gouache, 1908) beschreibt, eines der ersten Selbstportraits (1908-10) mit ernstem Blick; der Maler war fasziniert vom Impressionismus und Symbolismus. Doch das änderte sich mit Einflüssen von Gauguin, Braque oder Matisse; Malewitsch fand für sich den Neoprimitivismus in ländlichen Szenerien. Um 1912 lösten sich die Strukturen dann langsam auf, sein Kubofuturismus zeigte wenig Dynamik, zylindrische Formen, aber immer noch ländliche Szenerien wie die „Bäuerin mit Eimern“ (Öl, 1912) oder „Der Schnitter“ (Öl, 1912). Immer weiter reduzierte der Maler die Formensprache, verwandelte die Natur in geometrische Gebilde, bis er dann 1915 den kunstgeschichtlichen Knaller malte, das erst einmal „Quadrilateral“ genannte, allen aber bekannt als „Das schwarze Quadrat“ (Öl auf Leinwand, 1918, 79,5 x 79,5 cm), eines der radikalsten Werke, die je produziert wurden. Malewitsch nannte es „das Gesicht einer neuen Kunst“ und „den ersten Schritt zur reinen Kreation“. Allein dieses eher unscheinbare Bildchen aus der Staatlichen Moskauer Tretjakow Galerie wäre es wert gewesen, nach Bonn zu pilgern. Hier zeigt man das „Rote Quadrat – Malerischer Realismus einer Bäuerin“ (1915) – egal, der Suprematismus (lat. Der Höchste) war geboren, die monochrome Malerei dazu. Der Sieg über die Sonne steckte an, beflügelte Kollegen und Kritiker (Ilja Tschaschnik, „Suprematistisches Kreuz“ (1923) und selbst noch Josef Beuys „Schwarzes Kreuz“ (1968), Schwarze Dispersion auf Linnen über Hartfaserplatte – wenn auch mit einem völlig anderen Subtext). Bei Malewitsch jedenfalls war nun der Rest an Gegenständlichkeit auf der Fläche ausgetrieben, er übertrug „das Höchste“ auf die Architektur, in die Typografie, konzipierte eine Relativitätstheorie in der Farben- und Formenkunst, lehrte seine Studenten am Staatlichen Institut für Künstlerische Kultur in Leningrad wie man die Krankheit des Eklektizismus entfernt und – kaum zu glauben – alles immer mit den russischen Revolutionären im Nacken. Ich glaube, sie hat letzten Endes den Reflex ausgelöst, der dazu führte, das der Meister des Suprematismus in seiner letzten Phase (1928-1935) wieder zur Figuration zurückfand und zur Darstellung des einfachen Landlebens. Der Bäuerin mit dem Schnitter in der Hand und er mit dem geliebten Pinsel.
Kasimir Malewitsch und die russische Avantgarde | bis 22.6. | Bundeskunsthalle Bonn | Infos: 0228 9 17 10
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