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„Smarte“ Kundenhaushalte produzieren deutlich mehr Daten als bisher
Screenshot: Tom Jost

Die „Smarten“ lassen auf sich warten

01. November 2012

Intelligente Lösungen für die Energiewende kommen erst in einigen Jahren oder rechnen sich für die Kunden nicht – Innovation 11/12

Drei frische Herbst-Impressionen: Die Regierung erklärt „Energie-Effizienz“ zur Schlüsselfrage. Vor allem im Gebäudebereich. Am WDR-Fußballsamstag stopft mir RWE sein energetisches „Smart-Home“-Angebot in die Radio-Ohren. Muss ja was Tolles sein. Und im „Funkhaus Europa“ freut sich Anna über den Kühlschrank mit Web-Anschluss.Den kennen wir längst vom Autor Axel Hacke, dessen „alter Freund und Kühlschrank Bosch“ permanent fürchtet, durch „so ein junges Internet-Ding“ ersetzt zu werden. Drei Wahrnehmungen, die ineinandergreifen. Und ein Daheim erahnen lassen, in dem die nötige Energie-Diät komfortabel und verzichtsarm auf den Tisch kommt. Ich habe auch eine Vision. Da sitze ich als „Prosument“ im vernetzten Haus, das via Solardach Strom produziert und teilweise selbst verbraucht.

In dessen Keller eine Speicherbatterie steht. Wo ein Rechner an der Wand entscheidet, ob ich einspeise, speichere oder die Spülmaschine anwerfe. Der ein Auge auf Sondertarife meines Stromversorgers hat. Er weiß, dass mein Elektroauto noch für 70 Kilometer geladen ist. Und dass die Bad-Heizung um 9 Uhr abgedreht werden kann. Die Zutaten für ein solches „Smart Home“ sind vorhanden. Traurige Wahrheit ist: Das nutzt nichts. Spart auch kaum Energie. Und kostet dafür einiges. Fangen wir mit den Basics an – dem elektronischen Stromzähler. Der ist nun vorgeschrieben: für Neubauten, sanierte Altbauten und Kunden, die über 6000 Kilowattstunden im Jahr verbrauchen. „Das Pflichtenheft fehlt aber“, brummt Paul Theune von den Bochumer Stadtwerken, „ich vermute, es setzt erst ab 2014 ein.“ Natürlich kann man sich das Digi-Ding freiwillig zulegen und die Basisversion schon mit kleinen Zählfunktionen programmieren. Richtig interessant – und PC-aufschaltbar – wird es aber erst als „Smart Meter“, kombinierbar mit einem Mehrzonen-Tarif, der nachts niedrige Strompreise gewährt. „Bei der Vorstellung im letzten Jahr hatten wir Menschentrauben am Stand“, berichtet Theune. Dass daraus kein großes Umswitchen wurde, liegt wohl am Zähler-Aufpreis von 4,99 Euro im Monat. Auch bei den Stadtwerken Düsseldorf zeigt der Web-Preisrechner, dass man über 50 Prozent Stromverbrauch in die Zeit zwischen 20 und 6 Uhr sowie das Wochenende legen muss, bevor gegenüber dem Bestpreis-Tarif der erste Euro Jahresgewinn herausspringt. „Wir haben ein Programm mit 1000 Zählern aufgelegt“, sagt ihr Sprecher Michael Pützhofen. „Ich weiß nicht, ob die alle schon weg sind. Ein kleiner privater Haushalt wird davon auch nichts haben – eher ein Bäckerbetrieb, der nachts noch die Arbeitskleidung wäscht.“ Und überhaupt: „Energie gespart wird damit nicht – erst mal nur verlagert.“ „Die automatisierte Steuerung von Funktionen und Verbräuchen mit Transparenz zu koppeln“ verfolgt RWE mit seinem „Smart Home“-Angebot. So nennt man das Paket, mit dem sich Rolläden, Fenster, Heizung und Licht einschalten, schließen und regeln lassen. Im RWE-Shop finden sich funkgesteuerte Heizungsthermostate, Aufsatz-Steckdosen und Bewegungsmelder … die alle nur wenig mehr können als die Baumarkt-Lösung oder der geistesgegenwärtige Bewohner. Das Start-Set kostet 269 Euro, eine Wohnungsausstattung dürfte knapp unter 1000 Euro liegen. „Smart Home“ in dieser Deutung liefert weder Daten noch Analysen oder Hinweise zum Sparen, sondern ist eine Bequemlichkeits-Lösung. Intelligenz sieht anders aus. Fehlt noch das „Smart Grid“ als lokales Stromverteilungs- und Abrechnungsnetz. Es soll Strom aus diversen Quellen aufnehmen, verteilen, Netzbelastungen ausbalancieren, Verbrauchsdaten verwerten. Und das clever. Machen wir’s kurz: Für viele Jahre noch reines Wunschdenken. Dafür stellt sich das Problem Datenschutz. Wenn Strombezug monatlich elektronisch abgerechnet werden soll, wie es die Regierung wünscht, fallen Daten an, die sicher übertragen und vor Missbrauch geschützt werden müssen. Die Kopfgrafik dieser Seite zeigt meinen Stromverbrauchs-Verlauf vom 2. Oktober. Mit geübtem Auge erkenne ich, wann mein Kühlschrank anspringt. Sieht sonst wer noch was?

Hans-Jürgen Schliepkorte, der im FraunhoferIMS in Duisburg übrigens an wirklich innovativen „Smart Home“-Anwendungen (etwa für ältere Menschen) forscht, glaubt nicht, dass ein Einbrecher damit etwas anfangen könnte. Aber: „Daten werden häufig erst dann interessant, wenn man sie mit anderen verknüpft.“ Okay – die anderen Stromtage bleiben mein Geheimnis. Eine letzte Schimäre muss noch entlarvt werden.Bosch (!) teilt nämlich mit: „Stand heute ist weltweit kein kommerziell verfügbarer Kühlschrank bekannt, welcher automatisiert Lebensmittel über Barcode oder RFID-Tags scannt und erkennt. Es gibt wenige verfügbare Geräte, die ein manuell zu pflegendes Lebensmittelmanagement anbieten. Der Verbraucher muss beim Beladen im Display eingeben, welche Lebensmittel er einlagert – das gleiche gilt für die Entnahme.“ Will heißen: Das Display zeigt nichts anderes als der Blick in die geöffnete Kühlschranktür. Internet-Anschluss – Fehlanzeige. Axel Hackes depressiver Freund muss sich wirklich keine Sorgen machen.

TOM JOST

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