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Die Hölle der Liebe

05. April 2019

Julian Barnes schreibt sein bitterstes und bestes Buch – Textwelten 04/19

Was ist das Wichtigste in einem Menschenleben? Ist es die Liebe? Ist sie die Säule, um die herum wir uns selbst unsere Lebensgeschichten erzählen? „Die einzige Geschichte“ nennt Julian Barnes seinen neuen Roman, wobei sein Erzähler davon ausgeht, dass es in jedem Leben nur eine wirklich prägende Liebe gibt. Schon auf dem Buchumschlag ist der gedruckte Titel durchgestrichen, ebenso wie die Kapitelüberschriften, und durch einen handgeschriebenen ersetzt. Hier will jemand Rechenschaft ablegen, nichts verklären und nicht in den Sumpf der Resignation gleiten, sondern sich so genau wie möglich an eine Liebe erinnern, die schicksalhafte Konsequenzen hatte. Dabei beginnt alles so spielerisch. Paul lernt die fast 30 Jahre ältere Susan bei einem Mixed Turnier im Tennisclub kennen. Der 19-Jährige und die Mutter zweier erwachsener Töchter – eine Frau mit Noblesse und wesentlich schärferem Verstand als der angehende Jurastudent – treffen sich ein ums andere Mal. Plötzlich wird mehr daraus, eine Affäre, die in Londons spießiger Vorstadtwelt Ende der Sechziger Jahre als Skandal empfunden wird.

Gerade dieses provokante Moment macht die Beziehung in den Augen des jungen Mannes so interessant. Susan lebt in einer zerrütteten Ehe, man ist geistreich, trinkt, schlägt sich, ist, kurz gesagt, wohlstandsverwahrlost. Unerschrocken wagen Paul und Susan das kaum Vorstellbare und ziehen in eine gemeinsame Wohnung. Daraufhin wächst sich die Liaison dann jedoch zu einer Tragödie der Alkoholsucht aus, deren Hölle Barnes detailliert zu beschreiben weiß.

Obwohl wir Paul als jungen Mann erleben, ist in die Erzählstimme die Erfahrung eines ganzen Lebens eingelassen, da hier ein alter Mann spricht. Zunächst erzählt Paul in der ersten Person. Aus dem „ich“ wird im zweiten Teil ein „du“, damit rückt er schon ein Stück weit von sich ab, bis er sich im letzten Teil als „er“ bezeichnet und sich damit vollkommen fremd wird. Julian Barnes, dessen größtes Talent sein plaudernder Erzählton war, legt mit diesem Roman sein düsterstes und bestes Buch vor. Eine Prosa, die gesättigt ist vom Wissen um die bittere Seite der Liebe, die sich zeigt, wenn der Zauber von Verliebtheit und Sex verflogen ist und Verzweiflung, Hass und Arztbesuche jede Nähe aufgefressen haben. „Würden Sie lieber mehr lieben und dafür mehr leiden oder weniger lieben und weniger leiden?“ fragt Julian Barnes im ersten Satz des Romans und schon da wird deutlich, dass diese Liebe etwas kostet.

Das Großartige an diesem Roman ist die Eleganz seiner Ökonomie, mit der Barnes eine Geschichte erzählt, die trotz ihres nackten Grauens eine Liebesgeschichte bleibt. Das Erzählen selbst, sein Wahrheitsgehalt, wird mit klug gesetzten Andeutungen und Zweifeln zum Thema. Dem Brenneisen der Liebe ist nicht zu entkommen, bei allem Schmerz weiß der Erzähler, dass sie der Nachweis dafür bleibt, gelebt zu haben.

Julian Barnes: Die einzige Geschichte | Deutsch von Gertraude Krueger | Kiepenheuer & Witsch | 304 S. | 22 €

Thomas Linden

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