Peter Stamm ist ein Autor, der seine Leser immer wieder zu überraschen versteht. Der Schweizer schreibt anders, als man es von deutschsprachigen Autoren unserer Tage gewohnt ist. Eine Kühnheit in der Konstruktion zeichnet ihn ebenso aus wie die Konsequenz, mit der er die Schicksalswege seiner Protagonisten bis an ihr Ende verfolgt. In seinem Roman „Weit über das Land“ beschreibt er, wie jemand plötzlich aus dem Haus geht und seine Familie verlässt. Stamm erzählt, was mit diesem Mann und mit der zurückgelassenen Frau geschieht und fügt die Erzählstränge letztlich mit traumhafter Sicherheit wieder in einem überzeugenden Finale zusammen. Man fühlt sich sicher an der Seite dieses Erzählers, der einem keine halbfertigen Konstrukte zumutet.
Im Gegenteil, wer mit Stamms neuem Roman ans Ende gekommen ist, möchte vorne wieder beginnen, so eigenartig und rätselhaft ist die Geschichte seines Erzählers, der „Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt“ bitter zu spüren bekommt. Der 50-jährige Christoph bemerkt, dass sich die verunglückte Liebesgeschichte, die er vor 20 Jahren erlebt hat, nun mit anderen Protagonisten wieder ereignet. Er nimmt Kontakt mit Lena, einer jungen Schauspielerin auf, die seiner Jugendliebe Magdalena ähnlich ist, und beginnt ihr bei nächtlichen Wanderungen durch Stockholm seine Geschichte zu erzählen. Lassen sich die Bahnen des Schicksals verändern? Das ist die eine Frage, die bis zu Ödipus und Sisyphos zurückreicht. Die andere fragt nach der Authentizität unseres Lebens – wie angenehm ist es, zu sehen, dass die eigene Geschichte von jemand anderem gelebt wird. Stamm gibt dem Ganzen eine zusätzliche literarische Dimension, da Christoph seinen Erfolg als Schriftsteller durch jenes Buch erworben hat, das das Scheitern seiner Liebe dokumentierte. Vielleicht ist die Duplizität der Ereignisse aber auch eine Einbildung?
Der Erfolg von Peter Stamm hat Gründe. Der Schweizer kann mit der Routine eines Amerikaners seine Story entwerfen, ist aber auch mit der hellsichtigen Beobachtungsgabe für die Innerlichkeit einer Person ausgestattet, wie sie gerade deutschsprachigen Erzählern gegeben ist. Christoph und Lena sind unablässig in den gesichtslosen Randbezirken Stockholms unterwegs. So ziellos wie ihre Bewegung scheint sich auch ihre Gefühlswelt zu verstricken. Christoph besitzt in Lenas Ehemann Chris einen jüngeren Doppelgänger. Wird das Leben der Frau nun zwischen den Männern zerrieben? Stamm gelingt hier nicht einfach eine originelle Exposition – die Situation des Doppelgängers ist uns näher, als man zunächst glauben mag. Denn sobald man auf die eigene Vergangenheit zurückschaut, ergeben sich Muster, die eine beklemmende Zwangsläufigkeit des Daseins erkennen lassen. Er erzählt in einer klaren, pointierten Sprache, die Bilder entwirft, sie aber auch wieder hinter sich lässt, ohne in einen Modus raunender Deutung zu verfallen. So gewinnt dieser schlanke Roman jene Offenheit, die Neugierde entfacht, während wir gespannt zuschauen, wie die Gegenwart mit der Vergangenheit ringt.
Peter Stamm: Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt | S. Fischer Verlag | 156 S. | 20 €
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