Neugierig schauen die Kinder auf die Bühne des Casamax-Theaters. Dort purzelt wortwörtlich eine Geschichte aus einem Koffer. Ängste kennen heutzutage sogar schon die Kleinsten unserer Gesellschaft. Wie oft haben sie bestimmt in ihrem noch kurzen Leben gehört: „Los! Zeit ist Geld. Oh nein – gleich regnet es. Mensch. Wenn wir jetzt nicht gehen, verpassen wir alles!“ So fragt Frau/ Herr Meier (Hille Marks) die Kinder: „Habt ihr auch Sorgen?“ Einheitlich bestätigen sie das.
Denn: Wir alle machen uns ständig Sorgen. Große und kleine. Berechtigt und unberechtigt. Manchmal bedrückt uns etwas sogar so sehr, dass es zu einem riesigen inneren Monster heranwächst. Und dann gibt es da noch die ewig aufgebrachten Simulationspatienten, die ständig nach einem Haar in der Suppe suchen. So wie Frau Meier (Hille Marks), die sich permanent grämt. So fürchtet sie etwa zu erkranken oder ihr Blusenknopf könne abfallen. Zudem jagt sie ständig hysterisch wie eine Irre Fliegen mit einer Klatsche. Und was geschieht erst, wenn sie einen Apfel isst, in dem ein Wurm stecken könnte? Völlig unnötig und zum Ärgernis ihres Ehemannes (ebenfalls Hille Marks), der eher das schöne müßige Leben und Essen liebt. Ihm geht das Gezeter seiner Frau auf die Nerven. Eines Tages hat Frau Meier endlich einen Grund dazu, als sie in ihrem Garten doch eine junge, hilflose Amsel findet, die wohl aus dem Nest gepoltert ist. Und jetzt? Wie um Himmels Willen rettet Mensch einen Vogel und zieht ihn auch noch bei sich auf? Eine große Herausforderung für Frau Meier, sich tatsächlich einem Lebewesen zu widmen und es in ihre Obhut zu nehmen. Bei all den realen und irrealen Sorgen, die sie sonst schon plagen. Wie soll sie einem Amselküken erklären, wie es fliegen soll, wenn sie es selber nicht weiß?
„Frau Meier, die Amsel“, basierend auf einem Buch von Wolf Erlbruch, ist das älteste Stück im Repertoire des Casamax. Die Uraufführung im Jahre 2004 unter der Regie von Matthias Weiland ereignete sich zu einem Zeitpunkt, als das Theater in Sülz erst begann, sich als Kinder- und Jugendtheater neu zu definieren.„Die inhaltliche Arbeit zeichnet sich durch eine bilderreiche sinnliche Umsetzung von kindergerechten Themen in seinen Theaterstücken aus“, so Hille Marks alias Frau/Herr Meier.„Sie entwickeln sich, indem die Künstler selbst recherchieren, ihre eigenen Erfahrungen mit einbringen und Kinder aktiv einbezogen werden. So entstehen Geschichten, in denen sich das junge Publikum mit seinen Wünschen und Nöten ernst genommen fühlt und deren Kindgerechtheit anhand von Probenbesuchen durch die Zielgruppe vorab überprüft wird.“
Und tatsächlich werden die Kinder mit einbezogen: Denn „Frau Meier, die Amsel“ ist eine Geschichte über Empathie, über Begegnungen, die uns verändern, und über das Verhältnis von Mensch und Natur. Auch von Menschenkindern. Können wir in einer Zeit, in der bereits die Jüngsten unter uns Touchpads haben, wir nur noch googlen und keinen richtigen Bezug mehr zur Natur zu haben scheinen, überhaupt noch Beziehungen aufbauen? Wissen wir, welcher Vogel in unserem Garten hockt und wie wir ihn retten, ohne dies digital nachzuschlagen? Als kleiner Test zwischendurch werden die Kinder gefragt, ob sie diverse Vögel auf einer Leinwand erkennen. Das Wissen ist unterschiedlich. Ein Kind scheint alles zu kennen – sogar Namen, von denen womöglich einige Erwachsene noch nie gehört haben, wie „Grasmücke“ oder auch „Mönchsgrasmücke“.
Wird es Frau Meier gelingen, die heranwachsende Amsel und ihre eigenen Sorgen schweben zu lassen? Da sie nach zahlreichen Versuchen immer noch nicht weiß, wie man fliegt, setzt sie sich schließlich auf einen Baum und lässt ihr Amselchen mit der Menschenmutter als Miniaturfiguren an einer Leine spazieren bzw. fliegen. Wozu kennt der Mensch schließlich die Technik? Die Begegnung mit der Amsel hat sie jedoch verwandelt: Zum ersten Mal sieht man Empathie in den Augen der besorgten Bürgerin aufflackern. Erstmals scheint Frau Meier keine Sorgen zu haben, lächelt von nun an glückselig und nimmt sie sich äußerst liebevoll ihrem Tierbaby an. Sie scheint über sich und ihre Sorgen hinausgewachsen zu sein.
Eine weitere Frage, die über dem Stück schwebt: Wissen wir im digitalen Zeitalter noch, was eine Berührung ist? Hautnah tastet sich das junge Publikum am Ende an dieses Thema heran. Es darf die Amsel anfassen, so es möchte. Auch wenn es natürlich auch nur ein Kunstvogel ist.
„Frau Meier, die Amsel“ | R: Matthias Weiland | 15.3. 10.30 Uhr, 16.3. 16 Uhr, 15.4., 27.5. je 15 Uhr | Casamax Theater | 0221 44 76 61
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