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Probenfoto
Foto: Mira Moroz

„Das Stück ist wie eine Popcornmaschine“

30. Januar 2014

Andrea Bleikamp inszeniert an der Studiobühne „Raus aus Bernarda Albas Haus!“ – Premiere 02/14

choices: Frau Bleikamp, Vater tot, Mutter sperrt Töchter acht Jahre ein. Der Plot von Lorcas Stück „Bernarda Albas Haus“ klingt nach Bild-Zeitung?
Andrea Bleikamp:
Das ist ja nur der Plot. Wir wollen Lorcas Stück aber nicht klassisch erzählen, sondern Assoziationsräume schaffen. Ich nähere mich dabei dem Stück mit der These: Wenn man Menschen in einem Zwangsregime unter Verschluss hält, wenn man ihre Emotionen, ihre Gefühle und Bedürfnisse unterdrückt, fliegt irgendwann alles in die Luft. Das gilt für Paarbeziehungen wie für Gesellschaftssysteme.

Bernarda Alba hat fünf Töchter und hält sie quasi im Haus gefangen. Was für eine Atmosphäre herrscht in diesem Fünfmäderlhaus?
Zum einen ist immer wieder von der sexuell aufgeladenen Schwüle und Hitze die Rede. Man muss sich das so vorstellen: Da sind fünf junge Frauen, dazu Bernarda, deren Mutter, die Mägde – das ist ein hormonelles Ballungszentrum. Andererseits sind die Frauen nie allein, jede bespitzelt die andere. Keine der Frauen kann ein selbst bestimmtes Leben führen. Vermeintlich verlangt das die Gesellschaft, es wird aber schnell klar, dass Bernarda diesen Zwang über ihre Töchter verhängt.

Ist Bernarda Alba eine Art weiblicher Fritzl, nur ohne körperlichen Missbrauch?

Andrea Bleikamp
Foto:Mira Moroz
Andrea Bleikamp, 1970 geboren,begann während des Studiums der Germanistik, Soziologie und Philosophie, ihre Regieassistenz an den Bühnen der Stadt Köln bei Günter Krämer. Dort inszenierte sie “Mercedes” von Thomas Brasch und “Auftritt Dona Margarida” von Roberto Atthayde. In der freien Szene arbeitet sie 1998 kontinuierlich mit dem wehrtheater zusammen, dessen Leitung sie 2009 übernahm. Im selben Jahr kam “medeakomplex” mit Anja Lais heraus. 2010/11 realisierte sie das zweiteiligeMehrgenerationenprojekt „Altersfragen“. Ihre Inszenierung „Schneeschuhhasen im Glas“ wurde für den Kölner Kinder- und Jugendtheaterpreis nominiert. Zuletzt gründete sie die “BabyBühne”, die Theater für Kinder von 0-14 Monaten macht und mit großem Erfolg am Freien Werkstatt Theater läuft.

Bernarda hat auf jeden Fall Lust daran, andere zu quälen. Da sind sicherlich Enttäuschungen, wie sie die spanische Machogesellschaft mit sich bringt, im Spiel. Nur vier Töchter stammen von einem Mann, die fünfte ist von einem anderen Partner, der offenbar jeden Rock hochgehoben hat. Mit der Lieblingstochter wird zudem eine Missbrauchsgeschichte angedeutet. Am Ende trauert sie nicht einmal um Adela, die sich aus Verzweiflung erhängt. Ohne Bernarda verteidigen zu wollen, sie hat sicherlich kein glückliches Leben geführt.

Wie hält Bernarda ihr Regime aufrecht?
Wenn man dieses Regime in einer Familie oder in einer Paarbeziehung errichtet, dann spielen kleinste psychologische Nuancen eine Rolle. Es hat mit Bevorzugung, mit Zuneigung, mit kleinen Ungerechtigkeiten zu tun. Da wird der Einen etwas zugeschustert, was die Anderen nicht haben. So verhindert Bernarda auch solidarische Allianzen zwischen den Geschwistern. Jede Tochter versucht ihr Schäflein ins Trockene zu bringen. Es geht den Mädels nicht schlecht genug, um sich wirklich miteinander zu verbünden. Und unter solchen Bedingungen packt der Mensch nicht gerade seine besten Seiten aus.

Kein bisschen Dichtung!“ soll Lorca während der Niederschrift des Stücks begeistert ausgerufen haben. Wie viel Realismus braucht also das Stück?
Ich brauche keinen Realismus, sondern nähere mich dem Stück rein assoziativ, über Stimmungen, über Toneinspielungen, über wiederkehrende Schlüsselsätze. Man muss eine Atmosphäre von Enge, Ausweglosigkeit und lähmendem Druck schaffen, dazu braucht es keinen Realismus.

Was bedeutet das für den Plot?
Ich habe den inhaltlichen Bogen beibehalten, aber den Text derart eingestrichen, dass Assoziationsketten bleiben. Zum Beispiel das Thema von der Verfügungsmacht über den eigenen Körper. Das taucht auf, es ist aber nicht mehr wichtig von welcher Figur es ausgesprochen wird. Bei uns wechseln die Sätze von Darsteller zu Darsteller. Am Ende stirbt ein Mädchen, es hätte genauso gut ein Mann sein können.

Man könnte das Stück also mit Männern und Frauen besetzen?
Ja, und wir machen das auch so. Adela kann für mich genauso gut ein Junge sein. Mich beschäftigt zwar, dass, und wie Frauen anderen Frauen zusetzen, aber es müssen nicht alle Figuren dasselbe Geschlecht haben. Es ist in erster Linie eine menschlich universelle Problematik. Man darf auch Lorcas Biographie nicht vergessen. Das Stück hat viel mit der Gesellschaft und ihren bei allem Patriarchalismus frauengeprägten Haushalten zu tun. Es spielt aber auch seine nicht ausgelebte Homosexualität eine Rolle. Mit Männern auf der Bühne wäre das nicht gegangen.

Es ist also letztlich gleichgültig, welches Geschlecht die Figuren haben?
In einem Bild gesprochen: Bernarda Albas Haus ist für mich wie eine Popcornmaschine. Man sieht wie der Mais geröstet wird und am Ende fliegt einem alles um die Ohren. Das ist die Quintessenz von „Bernarda Albas Haus“: Dass man sich im Leben bewegen muss, dass man irgendwann explodiert, dass es keine Garantie auf ein gutes Ende gibt. Das Stück beschreibt ein geschlossenes System und da ist es ist erst einmal egal, ob das Frauen oder Männer sind.

Wie stark ist der gesellschaftliche Druck auf die Frauen?
Der Druck der Gesellschaft und die auf die Frauen ausgeübte Gewalt spielt natürlich eine große Rolle. Doch wenn nicht einer anfängt zu rebellieren, dann verändert sich nichts. Adela kämpft für ihre Liebe zu Pepe. Und sie ist bereit, die Konsequenzen dafür zu tragen. Als sie schwanger wird und annimmt, dass ihr Geliebter erschossen worden sei, bringt sie sich um. Adela ist die Einzige, die in Kauf nimmt, dass der Ausbruch auch schief gehen kann. Die anderen Töchter dagegen versauern im Haus. Außerdem pflegt Bernarda einen Standesdünkel, wonach keiner aus dem Dorf gut genug ist für ihre Töchter.

Was ist mit der Religion? Ist die Verankerung im Glauben noch aktuell?
Natürlich hat das auch mit dem tiefen katholischen Glauben zu tun und das ist heute immer noch aktuell. Wir haben in Deutschland Religionen wie z.B. den Islam, der, entsprechend interpretiert, einer Frau rigide vorschreibt, was sie darf und was nicht. Ich lasse zwar niemanden in einer Burka auftreten, aber wenn man sich die verhüllenden spanischen Trachten von früher ansieht, sind die Ähnlichkeiten verblüffend. Die 200 schwarzen Frauen, die am Beginn des Stücks beschrieben werden, sind natürlich ein Wahnsinnsbild, einerseits für die patriarchalische Gesellschaft, aber auch für eine starke Frauenmacht.

Ist die Familie das erste Zwangssystem, in das man als Mensch hineingerät?
Der Mensch in der Familie oder in der Paarbeziehung ist selten in der Lage seine eigenen Befindlichkeiten hinten anzustellen und altruistisch zu reagieren. Und oft werden diese kleinen Verletzungen auch noch transgenerativ weitergegeben.

Auf der gesellschaftlichen Ebene zeigen aber Regime wie in China oder Ägypten, dass Explosionen oft nicht nachhaltig sind?
Deshalb kehren wir am Ende des Abends zum Anfang zurück. Die Maiskörner, die explodieren, sind eben oft nur der Ausnahmefall.

„Raus aus Bernarda Albas Haus!“ | R: Andrea Bleikamp | 11.(P)-15.2. 20 Uhr | Studiobühne Köln | 0221 470 45 13

INTERVIEW: HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

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