choices: Herr Krause, wird Köln jetzt zu einem Ableger von Salzburg?
Stefan Krause: In Hamburg und Berlin gibt es inzwischen eine „Jedermann“-Tradition. Dann natürlich in Salzburg, und zwar nicht nur auf den Domstufen, sondern auch auf der Festung Hohensalzburg, wo in diesem Jahr Volker Lippmann die Titelrolle spielen wird. Die Idee geistert schon ein ganzes Jahr durch unseren Kopf, und seitdem haben wir Schauspieler, Sponsoren und einen Ort gesucht.
Warum haben Sie sich entschlossen, im Garten des Hotel Hopper zu spielen?
Für eine Freilichtaufführung ist es ein ziemlich intimer, geschützter Ort, und er besitzt damit genau die Atmosphäre, die wir für das Stück brauchen. Für uns ist der „Jedermann“ keine große Allegorie, sondern eher ein kleines Kammerspiel. Dafür ist der Garten des Hopper ideal.
Wie lässt sich der Garten mit diesem Welttheater vom „Sterben des reichen Mannes“, wie es bei Hofmannsthal im Untertitel heißt, bespielen?
Der Garten mit all den Leuten, die hier sitzen, reden und trinken, das ist die Bühne. Es ist das Spektakel der Lounge, des Chillens und des Coolseins. Jedermann kommt hierher und will mit ein paar Kumpels feiern. Mit dabei auch seine neue große Liebe, die keine Buhlschaft, also eine Femme Fatale, sondern ein wunderschönes Mädchen ist, das sich in ihn verliebt hat. Und unter all diesen Menschen sitzt auch der Tod, der gerade nichts zu tun hat. Gott wiederum wartet oben auf der Treppe und ist mal wieder sauer, weil er nicht beachtet wird. Und dann nimmt das Spiel seinen Lauf. Mehr ist das nicht, aber auch nicht weniger. Wir gehen gezielt an die menschlichen Dinge und nicht an die allegorischen, märchenhaften Dinge ran.
Heißt das, Sie treiben dem Stück die Allegorie völlig aus und machen daraus eine kleine konkrete Geschichte von einem Neureichen?
Wir machen eine Mischung. Jedermann steht für die Möglichkeiten, die jeder Mensch hat. Armut ist keine Schande, Reichtum auch nicht. Jedermann kommt aus einer wohlhabenden Familie, ist großzügig und will Spaß haben. Die Bettlerszenen haben wir zusammengezogen in die Figur der Armut. Sie wird Klamotten von heute tragen, kommt in diesen relativ noblen Laden, verkauft ihre Zeitung und ist gerade noch geduldet. Und dann sagt sie Jedermann mal richtig die Meinung, klagt ihn regelrecht an. Jedermann ist aber nicht geizig, er ist einfach nur Realist. Er sagt: Ich bin doch gar nicht schuld an deiner Lage. Jeder weiß, dass er Zinsen zahlen muss, wenn er sich Geld leiht. Angeklagt ist also nicht er, sondern ein System, das die Menschen immer gieriger macht, so dass sie Schulden machen müssen. Jedermann gibt der Armut am Ende im Stillen auch Geld, und zeigt damit, dass er ein Gewissen hat. Er verhält sich also schon richtig, noch bevor Gott eingreift.
Was passiert dann, wenn Gott ins Spiel eingreift?
In dem Augenblick, in dem man das Leben am meisten liebt, kommen die Melancholie, Depression und Krankheit. Und dann kommt auch noch jemand, der sagt, jetzt reicht’s. Für mich ist das wie eine Fermate: Jedermann bekommt Angst. Es gibt die These, dass Hofmannsthal ein ganz anderes Ende geschrieben haben soll, bei dem der Teufel gewinnt und Jedermann mit ihm tanzt. Für Salzburg wurde dann der überlieferte, parodistisch gemeinte Schluss mit der Erlösung verfasst, um die bürgerlichen und christlichen Kreise zu beschwichtigen. Wir zeigen ein drittes Ende, in dem sich Jedermann gegen den Tod und für das Leben entscheidet.
Anders als alte allegorische Spiele bewegt sich das also alles mehr oder weniger auf einer Ebene und die Allegorien zielen eher auf menschliche Verhaltensweisen?
Entweder hat Jedermann Visionen kurz vor seinem Tod und sieht irgendwelche Gestalten, die es nicht gibt. Oder wenn es sie doch gibt, dann sind sie alle auf einer Ebene. Anders geht es nicht. Wir legen den Schwerpunkt auf die Tatsache, dass da ein Mensch ist, der neben all seinen Fehlern umgeben ist von anderen Menschen, die genauso Fehler machen, die Gesellen, die Armut, die Mutter, dass das alles auf einer Ebene passiert, die greifbar wird.
Was ist denn die Lehre aus dem ganzen Spektakel?
Die Lehre ist, dass man leben soll. Dass man erkennen soll, dass man sterblich ist und nicht seine Zeit verplempern darf, denn das Leben und natürlich die Liebe sind viel zu schön. Dass man nicht an Himmel oder Hölle denken soll, oder dass der Tod einen packen könnte.
In Salzburg steht meist eine illustre Schauspielercrew auf der Bühne. Wie wird das hier sein?
Wir haben siebzehn Akteure auf der Bühne. Das ist in der Freien Szene einmalig, weil wir ohne jede Förderung und nahezu ohne Sponsoring auskommen, es gibt nur einige Sachspenden wie Kostüme. Unter den Schauspielern sind Topleute aus dem Fernsehen wie Moritz A. Sachs, der in der „Lindenstraße“ spielt, oder Jana Julie Kilka, die bei „Verbotene Liebe“ mitmacht. Es sind große Theaterleute dabei wie Volker Lippmann oder Hanno Dinger. Wir haben mit Stephan Wipf einen Supergitarristen und dazu drei Sängerinnen für einen Backgroundchor, die das Spiel mit kurzen Einwürfen kommentieren und parodieren. Anders als in Salzburg wird bei uns das Spektakel nicht länger als neunzig oder hundert Minuten inklusive Pause dauern. Wir sind schnell.
Und wie geht es dann in Zukunft weiter?
Wir wollen in Zukunft den „Jedermann“ jedes Jahr machen. Die Aufführung soll zu einer festen Institution wie in Hamburg oder Berlin werden. Wir starten diesmal mit neun Vorstellungen, im nächsten Jahr werden es dann voraussichtlich 12, danach vielleicht 15 Vorstellungen. Für 2015, nach drei Jahren also, ist dann eine Neuinszenierung geplant.
„Jedermann“ von Hugo von Hofmannsthal | Theater Tiefrot / Garten des Hopper Hotels St. Antonius | 6.-8./13.-15./20.-22.7. 19.30 Uhr | www.theater-tiefrot.de
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