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Das Serielle als Exzess

24. September 2015

Hanne Darboven in der Bonner Bundeskunsthalle – Kunstwandel 10/15

Die Künstlerin hat ihr Leben lang geschrieben. Als Sühne, doch wofür? Schreiben sie einhundertmal Dienstag, eintausendmal Dienstag, das kostet Zeit, messbar, festhaltbar. Schon in den frühen 1960er Jahren begann Hanne Darboven in New York das Serielle, Mathematische zu ergründen, mit der absoluten Loslösung vom Praktischen begann dort ein Werk, dessen Mächtigkeit gerade in der Bundeskunsthalle in Bonn zu entdecken ist. Es ist die kleinteilige Manie, die Seele einer Zahlenkolonne zu ergründen, das Wesen hinter dem täglichen Allerlei. Täglich schrieb sie, nein sie notierte, sie reihte endlose Zahlenkombinationen aneinander, sie zog Wellen auf Pergament, in Schulbücher, in Kalender. Fast ein halbes Jahrhundert lang, bis 2009. Die Kolonne hatte Ruh, die Frau Darboven hat die Tafel verlassen. Was wie eine Strafarbeit anmutet, hinterlässt immerhin einen grauen Strichcode der Zeit. Die Künstlerin hat Schreiberinnen beschäftigt, aus Not oder als Konzept? Da kann man nicht sicher sein.

Zwischen den endlosen beschriebenen Tafeln, die Wände und Vitrinen füllen, steht in Bonn Spielzeug. Puppen, Schaukelpferde, ein Dreirad, der Besucher ist erstaunt. Alles stammt aus dem Atelier, selten in dieser Summe gesehen und schon das Wort Summe macht wieder rappelig. Fast 12.000 Arbeiten sollen hier hängen, stehen liegen, allein die Urfassung der „Schreibzeit“-Serie, die sechs Jahre der 70er be-„schreibt“, besteht aus zweieinhalbtausend Blättern, die viel Tinte und Graphit enthalten, aber eben keine inhaltliche Information. Aber die haben die aufgereihten Kasperlepuppen ja auch nicht, nicht mal das Puppentheater, wenn niemand sie bewegt. In der Arbeit „Kinder dieser Welt“ schlägt das Herz dieser „Zeitgeschichten“- Ausstellung, die parallel zur Retrospektive im Haus der Kunst in München konzipiert wurde. Die zeigt Hanne Darboven eher als Komponistin und Bücher-Sammlerin. Irgendwann in den frühen 80ern begann sie ihre Kolonnen in Noten zu verwandeln. Allerdings erledigten den eigentlichen Kompositionsprozess der Melodieketten andere Musiker.

Bleiben wir lieber beim Geschriebenen Nichts. „Kinder dieser Welt“ sind 200 gebundene Bücher mit jeweils sechs Schulheften, 22 gebundene Bücher mit jeweils fünf Schulheften, zwei Textbücher, 114 Packpapiertafeln, 2134 Blatt Blechbläsertrio Opus 42 A in Zahlenworten, 68 Blatt Notenpartitur, 63 Blatt Index, Spielzeug, Puppen und viel mehr in Schaukästen und Vitrinen. Herstellungsdauer: sechs Jahre (1990-96). Und dennoch, diese Melange aus Inhalt und Manie, natürlich auch eine der umfangreichsten Installation in ihrem Werk – die Künstlerin bezieht sich auf Ernst Blochs „Prinzip Hoffnung“ von 1938 – kann nicht die Funktion einer Klammer zwischen der „inhaltslosen“ Arbeit und dem musealen Anspruch eines Apparates erfüllen. Manches scheint zwanghaft zwischen den Zeilen hervorgezerrt zu sein, anderes nur für einen enzyklopädischen Zusammenhang verbunden. Die Mächtigkeit einer „sinnlosen“ Wand erreichen diese „zeitlosen“ Arbeiten nicht.

„Hanne Darboven – Zeitgeschichten“ | bis 17.1.16 | Bundeskunsthalle Bonn | 0228 917 12 00

Peter Ortmann

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