Die Machtmechanismen der Liebe: Warum der neueste Film der großen französischen Regisseurin Catherine Breillat das Kinojahr fulminant eröffnet.
Das Tabuthema, das Regisseurin Catherine Breillat für ihren neuen Film „Im letzten Sommer“ (Originaltitel: „L’été dernier“, 2023) gewählt hat, lässt keine moralischen Fragen offen. Dennoch hat es die Französin geschafft, das Publikum so persönlich an die Situation zweier Liebender heranzuziehen, dass es immer wieder Momente gibt, an denen man den Verliebten eine Zukunft wünscht – und sich fragt: Aber ist es nicht die Liebe, die zählt? Bis man am Ende des Films den Kopf gewaschen bekommt.
Catherine Breillat ist nach zehn Jahren Pause mit einer Neuverfilmung des skandinavischen Spielfilms „Königin“ (2019) von May el-Toukhy ins Kino zurückgekehrt. Sie erzählt von der Affäre der Anwältin Anne(Léa Drucker), die vor allem Kinder und Jugendliche in Problemsituationen und auch in Missbrauchsfällen verteidigt. Als der Sohn ihres Mannes, gespielt von Samuel Kircher,bei ihnen einzieht, bahnt sich relativ schnell eine besondere Nähe und Vertrautheit zwischen Théo und seiner Stiefmutter an. Ein unverhofftes Begehren als Wechselspiel zwischen Zärtlichkeit und Härte, zwischen Nähe und Distanz beginnt.
Er ist 17 Jahre alt, sie wird in ihren Fünfzigern sein. Die Beziehung ist so friedlich, die Nähe zwischen den beiden fühlt sich beim Zuschauen so gut an, es entsteht ein Verständnis für die Sehnsucht nach Jungsein im Alter, nach Sich-fallen-lassen, nach sexuellem Austausch und Erfahrungen, dass die Filmemacherin es sogar schafft, das Publikum immer wieder vom klaren Standpunkt abzubringen und man erst am Ende des Films wie durch eine Ohrfeige aus dem Liebestraum erwacht. Und dann daran erinnert wird, dass hier trotz Einvernehmlichkeit ein eindeutiger Machtmissbrauch stattgefunden hat – allein schon durch den Altersunterschied und die Lebenserfahrung, mit solch schwierigen Situationen umzugehen. Erst als sie beim Rummachen auf dem Kindergeburtstag ihrer Tochter erwischt werden, entscheidet die Stiefmutter, die Beziehung zum Sohn ihres Mannes zu beenden. Er, verliebt und unvernünftig, fällt in tiefe Verzweiflung und beichtet seinem Vater die Affäre, was Anne noch versucht hatte, zu unterbinden.
Raffiniert, wie Breillat es geschafft hat, einen kurz vergessen zu lassen, welche Machtmechanismen im Spiel sind! Theó versucht in seiner Wut und Trauer über das Ende dieser Beziehung, gegen sie vor Gericht zu gehen. Am Ende schafft Anne es trotz allem, ihr ursprüngliches und nach außen hin perfektes Familienleben wiederherzustellen. Théo und Anne können sich trotzdem nicht vergessen…
Nach der choices-Preview am 3.1. startet der Film heute regulär in den Kinos Cinenova, Filmhaus (OmU) und Weisshaus.
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