„Murmelland den Murmeltieren. Die andern könn‘ zu Hause frieren. Hier, hier, hier ist Murmeltierrevier.“ Berta, Gerta und Herta sind sich sicher: Sie kommen! Aber nicht an den dreien vorbei. Die Murmeltiere der 7. Wachsamkeitspatrouille wehren sich entschieden gegen die Zuwanderer aus aller Welt, gegen den asiatischen Marienkäfer, die spanische Wegschnecke oder den nordamerikanischen Waschbär. Die eingeschleppten Arten haben auf ihrem Berg in den Alpen nichts verloren. Deshalb bereiten sie sich vor, stricken Schals für einen Zaun, der ihr Revier markiert, und sind hellwach, um jedweden Eindringling dorthin zurückzuschicken, wo er hingehört. Nur, ob wirklich jemand kommt, ist die Frage.
Bei der Premiere von „Sie kommen!“ am Samstag im Casamax Theater zeigte sich einmal mehr, wie schnell sich Gerüchte und Fake News ausbreiten und dass es wichtig ist, das schon den Jüngeren zu vermitteln. Das Stück für Kinder ab sechs Jahren über die drei Murmeltiere, die der festen Überzeugung sind, ihre Heimat könne jeden Tag von zugewanderten Tieren überrannt werden, ist brandaktuell. Junge Menschen sind immer mehr direkt betroffen von der weltweiten Migration. Die einen, weil sie fliehen müssen, die anderen, weil sie mit den Geflüchteten in Schule und Alltag konfrontiert werden.
„Man muss zum einen auf eine altersangepasste Sprache achten“, sagt Regisseurin Ragna Kirck. „Die Bilder müssen funktionieren und Assoziationen freisetzen, sodass die Kinder hinterher selbst ins Nachdenken kommen. Zum anderen darf man nicht zu hart erzählen. Deshalb haben wir das Thema auf Tiere umgemünzt, auf Bioinvasion. Davon, dass es so etwas wie Einwanderertiere gibt, haben die meisten Kinder schon mal gehört.“
Aber warum eigentlich Murmeltiere? „Ich hatte das Bild einfach so im Kopf. Wir brauchten etwas, das man abschotten kann – einen Berggipfel. Und die Alpen stehen einfach für Trachten, die heile Welt. Dieses Traditionelle eben.“ Mit dem Stück wolle man darauf aufmerksam machen, wie Gerüchte, Fake News und Populismus Neugier, Vielfalt und die Völkerverständigung behindere. Natürlich sei das Thema durch die Murmeltiere aber komisch verpackt.
Diese Komik zeigt sich vor allem in den Kostümen und Bewegungen der Schauspielerinnen Hille Marks, Carmen Konopka und Franziska Schmid, die das Wuseln, Auskundschaften und Fauchen der Murmeltiere verinnerlicht zu haben scheinen. Aber auch das Bühnenbild trägt dazu bei. Gerta, Herta und Berta sitzen auf ihren Barhockern, stricken und essen sich rund für den Winter und geraten völlig aus dem Häuschen, wenn eine von ihnen glaubt, einen Eindringling ausgemacht zu haben. Dann wird die leise Marschmusik im Hintergrund durch lautes Tröten und Hupen ersetzt. Bis den Murmeltieren auffällt: „Fehlalarm?“ „Fehlalarm!?“ „Fehlalarm!“ Die Reaktion der drei zeigt: Die Angst kommt nicht von einer realen Bedrohung, sondern nur von der Ungewissheit, was sein könnte.
Damit die Kinder neben den Späßen auch das Stück verstehen, ist das Ensemble schon im Vorhinein mit verschiedenen Schulklassen der 1. bis 4. Jahrgangsstufe die Proben und Thematik durchgegangen, um herauszufinden, wie viel sie darüber wissen. „Die Zusammenarbeit mit den Probenklassen macht sehr viel Spaß und trägt oft stark zum Entstehungsprozess unserer Stücke bei“, sagt Kirck, die zusammen mit Hille Marks das Casamax leitet. Dabei gehe sie zunächst in die Klassen und führe Interviews zum Thema: Wovor haben die Kinder Angst? Wie reagieren sie auf Fremdes? „Sehr spannend war die Reaktion auf die Frage, was sie tun würden, wenn es bei ihnen klingelt und jemand Offizielles ihnen sagt, dass ab morgen noch eine andere Familie bei ihnen einziehen muss. Alle aus allen sozialen Schichten und Altersstufen haben sofort die Tür zugehalten. Das zeigt, dass das Thema auch schon für Kinder wichtig ist.“ Nach den Gesprächen würden dann Ausschnitte aus den Proben gespielt. „Es hat uns wirklich glücklich gemacht, wie viel sie da tatsächlich schon verstanden haben.“
Auch bei der Premiere scheinen die meisten Kinder zu wissen, was passiert. Während die beiden älteren Murmeltiere Gerta und Herta sich sicher sind, dass von jenseits des Zauns nichts Gutes kommt, will Berta sich nicht so einfach abspeisen lassen. Ob sich Ragna Kirck in der Verantwortung sehe, Kindern und Jugendlichen ein offenes Weltbild zu vermitteln? „Ja, total! Am Casamax machen wir dezidiert sehr viel politisches Theater. Wir glauben, dass es eine der besten Möglichkeiten ist, damit anzufangen, weil es auf eine weiche Art in der Konfrontation passiert, und weil du ganz viel mitnehmen kannst. Wenn wir bei Kindern nicht damit anfangen, wo denn dann?“
Eine starke politische Botschaft sendet das Stück in jedem Fall. Lediglich das Ende kommt etwas abrupt und hätte einen stärkeren Twist vertragen können. Der Theaterbesuch lohnt sich trotzdem allemal. Ob mit oder ohne Kinder!
Sie kommen! | R: Ragna Kirck | 6., 8.11., 6., 10., 11.12. je 10.30 Uhr; 9.11., 7.12. je 16 Uhr | Casamax Theater | 0221 44 76 61
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