Wie eine Säule personifizierten Leids steht die blutverschmierte Julie in der Mitte der Bühne. Eine Mater Dolorosa, die den ausgestreckten Arm des toten Liliom in Händen hält. Sie erträgt das Beileid ihrer früheren Freundin Marie und deren Ehemanns Wolf, diesen Hyänen des (klein-)bürgerlichen Glücks, die sich die Einkaufstaschen vors Gesicht halten. Das Versöhnungsangebot der tränenüberströmten Frau Muskat weist Julie voller Trotz zurück. Als sie endlich allein ist, bricht sich ihre stolze Trauer berührend Bahn. In einem Todesmonolog klagt sie den brutalen und niederträchtigen Liliom an und macht ihm doch zugleich eine letzte Liebeserklärung.
Ferenc Molnárs Vorstadtlegende „Liliom“ ist ein Schmachtfetzen erster Güte, Melodram und Sozialreißer zugleich, das Regisseur Sascha Hawemann allerdings mit einer atemberaubenden Humanitas versieht. Jeder Figur wird ihr Streben nach Glück zugestanden, wie schäbig auch immer es sein mag. Der naiven Marie (Lena Geyer) und ihrem Kassierer (Christoph Gummert) genauso wie dem kriminellen, nacktbrüstigen Ficsur in Nadelstreifenhose (Timo Kählert mit bellender Aggression) oder der proloschicken Karussellbetreiberin Frau Muskat (Ursula Grossenbacher), die einfach nur scharf ist auf Liliom.
Liliom (Holger Kraft) dagegen scheint das Glück von Beginn an in Händen zu halten. Als Platzhirsch des Karussells hockt er auf einer Lautsprecherbox, während ihn die Frauen auf Rollschuhen vor einer Sperrholzwand mit Glühbirnen (Bühne: Wolf Gutjahr) umkreisen; neonbunte Leuchtschnüre fahren herab. Es ist das billige Glück des Jahrmarkts. Doch Lilioms machistischer Protz ist von kurzer Dauer. Nach seiner Kündigung durch Frau Muskat entwickelt sich die Beziehung zur trotzig liebenden Julie (Annina Euling) prekär. Die beiden hausen in einer kleinen Kammer mit Matratze und Waschbecken. Liliom treibt sich vor allem mit Ficsur herum. Die beiden werfen sich tanzend in Heavy-Metal-Klänge und geben so ihrem Lebensgefühl Ausdruck.
Als Juli schwanger wird, beschließt das Kleinkriminellen-Duo, einen Geldboten auszurauben. Daraus entwickelt sich eine der brutalsten Szenen des Abends. Zunächst geraten die beiden Kumpel wegen möglichen Waffeneinatzes aneinander. Anschließend misshandelt Liliom die schwangere Julie auf einen Weise, die einem den Atem stocken lässt. Individuelle Gewalt, das hat die Regie schon gleich zu Beginn bei einer Attacke eines Polizisten auf den Titelhelden deutlich gemacht, ist hier Ausfluss einer strukturellen gesellschaftlichen Gewalt. Wie die blutüberströmte Julie dann am Bühnenrand steht und nur die zarten Finger ihrer hocherhobenen Hände zucken lässt, ist von erschütternder Eindringlichkeit. Immer wieder gelingen der Regie an diesem Abend solche berührenden Szenen von großer Emotionalität, die das Gefühlspotential nicht naturalistisch, sondern in Bildmetaphern fasst. Allzu konventionell allerdings gerät das Zusammentreffen des trotzigen Liliom mit dem discotanzenden Gottvater im Himmel. Das allerdings kann dem Gesamteindruck dieses bewegenden Abends letztlich keinen Abbruch tun.
„Liliom“ | R: Sascha Hawemann | 8., 30.3. 19.30 Uhr, 24.3. 18 Uhr | Theater Bonn | 0228 77 80 08
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