Zuletzt feierte ein befreundetes Paar Silberhochzeit und erbat statt Geschenk eine Geldspende zur Jubiläums-Flugreise. Da die beiden Vielflieger sind, passte das dem Verfasser dieser Zeilen so gar nicht in den grünen Kram. Also klebte er sich, nicht ganz uneigennützig, am Buffet der Jubiläums-Feierlichkeit fest. Nein, das tat er natürlich nicht. Stattdessen fiel ihm ein: Jeder Kinobesuch ist eine Reise! Eine Reise in die weite Ferne, ins Hier, durch Raum und Zeit, in die Zerstreuung oder tief ins Ich. Also ergatterte er Kinogutscheine und kredenzte dem Jubilar-Paar eine Handvoll Leinwandflüge. Kollegin Tina Adomako hatte bereits im Juli-Vorspann den Film als Reise gefeiert, das wollen wir hier also nicht erneut vertiefen, wohl aber unterfüttern: Die Ferien sind bald vorbei – also ab mit Ihnen ins Kino! Vor allem sollten Sie jetzt die Filme mitnehmen, die noch nicht von dem Autorenstreik in den USA betroffen sind, der seit dem 2. Mai Feder und Tastaturaus gutem Grund ihre Bestimmung verweigert. Hierzulande begegnet man einem Streik eher am Bahnsteig, im Flughafen oder vor der Apotheke. Arbeitsniederlegung bei den freien, kreativen Berufen dagegen: Wen juckt das schon? Wobei: Man stelle sich vor, dieser Text würde hier einfach so abbr
Nun, das ist natürlich weniger dramatisch, als würde ein Film nicht gescheit zu Ende erzählt. Spürbar ist die aktuelle Arbeitsniederlegung zuallererst bei Comedyshows – ohne frische Pointen kein Jimmy Fallon. Bei Serien und Kinofilmen schlagen sich die Auswirkungen durch die naturgemäß verzögerte Ausstrahlung erst ungleich später nieder. Aktuell werden also viele Produktionen auf Eis gelegt. Oder aber man dreht einfach stur weiter – ohne professionelle narrative Begleitung am Set. Wie das endet, wissen wir noch vom letzten großen Streik in den USA 2007. Anstatt den Dreh zu unterbrechen, hangelte man sich entlang eines unfertigen Scripts und finalisierte so mit „Ein Quantum Trost“ den schlechtesten Bond-Film mit Daniel Craig. Seit dem 14. Juli ist nun auch das nicht mehr möglich, weil auch die größte Schauspieler:innengewerkschaft der USA ihre Mitglieder verbindlich zum Streik aufrief. Im Schulterschluss mit den Autor:innen aus Protest gegen sinkende Budgets bei zunehmenden Projekten. Gegen unangemessene Beteiligung bei Mehrfachauswertungen. Gegen den ungeregelten Einsatz von KI. Für die Würdigung der Gewerke.
Eine Geschichte ist nicht zu Ende erzählt, sobald die erste Klappe fällt. Die Geschichte lebt, und sie braucht jemanden, der sie auch beim Dreh am Leben erhält. Natürlich retten Autor:innen nicht automatisch den Film davor, als Gurke zu enden. Man denke an die letzte Staffel von „Game of Thrones“, die so wirkt, sie sei von einer KI heruntergebrochen worden. Nein, schlechte Filme gibt es immer. Aber noch mehr gute. Vorausgesetzt, Autori:innen sind involviert und werden nicht von Streamingdienst und Investoren oder durch Zuhilfenahme von ChatGPT herabgewürdigt. In diesem Sinne: Ein Hoch auf das Handwerk!
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