Ein Begriffsfeld, das sich seit den 1980er Jahren von Amerika aus als Kunstrichtung etabliert hat, ist die Institutionskritik: die künstlerische Auseinandersetzung mit Fragen der Präsentation und Repräsentation von Kunst, etwa dass wir Kunst aus äußeren Zusammenhängen heraus werten. Die Künstler selbst lassen sich nicht auf einzelne Gattungen festlegen, teils zitieren sie (vornehmlich wichtige, allgemein bekannte) Kunstwerke, ja, reproduzieren diese. Im vergangenen Jahr hat das Museum Ludwig aus dem weiten Bereich der Institutionskritik Andrea Fraser mit einer Ausstellung vorgestellt, anlässlich der Verleihung des Wolfgang-Hahn-Preises. Mit Louise Lawler wird jetzt am gleichen Ort eine weitere Hauptvertreterin dieser künstlerischen Haltung präsentiert, deren Werk einen hohen theoretischen Anspruch besitzt, tatsächlich aber kraftvoll und sinnlich und oft humorvoll auftritt. Der Zeitpunkt der Ausstellung in Köln ist gut gewählt: Parallel dazu hat Philipp Kaiser als Direktor des Museum Ludwig die eigene Sammlung neu eingerichtet und unter anderem die Pop Art in den chronologischen Ablauf integriert, dafür aber Land Art, Minimal Art und Concept Art weiter positioniert.
Louise Lawler hat nun verschiedene ihrer Werkgruppen in die Sammlung eingebaut, ja, in Bezug auf diese arrangiert. Sie hat eine Fotoarbeit über den Keramiken von Picasso gehängt, zeigt Briefbeschwerer aus Glas in Verbindung mit Wandtexten, lässt Vogelstimmen die Namen von Künstlern ausrufen und stellt ihre neuesten „tracings“ im Foyer des ersten Obergeschosses aus: monumentale Konturzeichnungen nach ihren eigenen Fotoarbeiten, ausgeführt von einem professionellen Illustrator, als Folie angebracht an der weißen Wand. Zu sehen sind Kunstwerke unterschiedlicher Epochen in unterschiedlichen Situationen. Trotz der Größe der Illustrationen besitzen die Szenen die Gemütlichkeit von Puppenstuben. Was wir hier sehen ist Beschreibung und Interpretation, ist Zeichnung, Referenz, Konzept: Bei Lawler trifft alles gleichzeitig zu und doch ist dies nur die halbe Wahrheit.
Die Fotografien selbst sind das vielleicht bekannteste Medium der 1947 geborenen New Yorker Künstlerin. In Köln nehmen sie den gesamten unteren Wechselausstellungsbereich ein. Sie zeigen den Blick der Fotografin auf Ausstellungen, Kunstwerke, ihre Details, aber fern jeder Konvention des Sehens und Dokumentierens. Von Warhols berühmten Kühen hat Lawler Ausschnitte in unterschiedlichen Formaten angefertigt – sie stellen zugleich eine Hommage an Andy Warhol dar, der mit seinen Verfahren der Reproduktion und des Seriellen die Grenzen der Pop Art geöffnet hat. Oder Lawler widmet sich in einer Reihe von hochformatigen Aufnahmen Degas' kleiner Ballett-Tänzerin, die aber nur als Ausschnitt am Bildrand vorkommt. Oder das Kunstwerk wird weiter nebensächlich, die Wand ist zu sehen, ein Stück vom Bilderrahmen. Damit rückt der Raum der Unterbringung – das Museum, sein Depot, das Auktionshaus, die Galerie, die Privatwohnung – in den Fokus. Mitunter taucht das Schildchen auf: Der Blick von Lawler ist immer unerwartet, wirkt lapidar und zufällig, ist aber präzise und durchdacht.
Auch wenn sie erst mit ihrer Teilnahme an der documenta 2007 weiteren Kreisen bekannt wurde, so spielt Louise Lawler in der Kunstszene doch schon seit sehr langer Zeit eine wichtige Rolle. Bereits 1993 ist das Buch „Über die Ruinen des Museums“ von Douglas Crimp erschienen, das von einem fotografischen Essay von Lawler begleitet wird. Schon da ist der verschobene, dadurch abstrahierende und schließlich schärfende Blick für ihr Schaffen kennzeichnend, hier in s/w und mitunter auf Briefmarkengröße. Dass Louise Lawler aber auch im monumentalen Format auf der Grundlage ihrer Farbfotografien arbeitet, ist nun ebenfalls im Museum Ludwig zu sehen. Durch die Vergrößerung verzerren sich die Proportionen – wir sehen Bilder von Bildern, wie wir sie noch nie gesehen haben.
„Louise Lawler. Adjusted“ | bis 26.1.| Museum Ludwig, Köln | www.museum-ludwig.de
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