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1:1-Situation

01. Februar 2010

„Petersberg 1" vom Ensemble FUTUR3 schickt in Friedensverhandlungen - Premiere 02/10

choices: Herr Kraft, das neue Stück von „Futur3“ heißt „Petersberg 1“ nach dem berühmten Verhandlungsort bei Bonn. Spielt es auch dort?
Stefan H. Kraft:
Wir wollten auf dem Petersberg spielen, da kommt man aber nicht dran. Trotzdem haben wir den Titel beibehalten. Die Aufführung wird an einem Ort stattfinden, der auch tatsächlich Schauplatz einer Verhandlung sein könnte: Wenn Regierungen keine eigenen Gästehäuser haben, dann finden Verhandlungen oft in Hotels statt, in Jerusalem zum Beispiel im legendären „King David“-Hotel.

Wofür steht der Petersberg?
Der Petersberg steht für eine gewisse Größe, für eine Wichtigkeit, und die Lage hoch oben auf dem Berg signalisiert eine Entrücktheit, die man ja als Normalbürger der Diplomatie zuschreibt. Und die Rolle, die Deutschland in der Diplomatie spielt, ist eng verknüpft mit dem Petersberg, hier haben wichtige Konferenzen stattgefunden. Als Kind bin ich oft da unten entlang gegangen, und mein Großvater hat erzählt, damals hätten die hohen Kommissare dort gesessen und Deutschland aufgeteilt.

Thema des Stücks ist aber eigentlich der Nahostkonflikt.
Wir tragen das Thema Nahostkonflikt seit Jahren mit uns herum und suchen nach einer theatralen Form. Für mich ist das ein singulärer Konflikt, der am Beginn einer Reihe von Dominosteinen steht. Würde er gelöst, hätte das für viele Konflikte zwischen den muslimischen Staaten und der westlichen Welt eine Signalwirkung. Die deutsche Verbindung zu Israel ist historisch bedingt natürlich eine ganz spezielle. Insofern war das Land für mich immer ein besonderer Ort. Als ich vor 10 Jahren zum ersten Mal da war, hat mich beeindruckt, wie sehr dieser Konflikt den Alltag prägt.

Und welche theatrale Form macht den Konflikt handhabbar?
André Erlen und ich haben 2002 in Hamburg das Stück „DU/Die Stadt“ von Fiona Templeton gespielt, in dem der Zuschauer jeweils alleine von 18 Schauspielern durch die Stadt begleitet und in eine Reflektion über das Individuum in der Großstadt eingebunden wird. Diese exklusive 1:1-Situation wollen wir nutzbar machen für „Petersberg“. Wir glauben, dass durch den direkten Kontakt mit den Schauspielern etwas anderes entsteht als in einer großen Gruppe.

Was heißt 1:1-Situation im Fall von „Petersberg 1“?
Das Publikum wird eingeschleust in eine fiktive Verhandlungsrunde zwischen Israelis, Palästinensern und einer EU-Delegation. Jeder Zuschauer vereinbart einen individuellen Spieltermin und erfährt am Telefon, wo er sich einzufinden hat. Er wird per Los einer der drei Delegationen zugeteilt. In einer Abfolge von einer Viertelstunde werden jeweils drei Zuschauer ins Rennen geschickt. Der Zuschauer sitzt zunächst in mehreren Szenen Mitgliedern seiner Delegation gegenüber und kann zuhören, Fragen stellen, diskutieren. Spannend wird es, wenn er in einer Gruppe landet, mit der er sich nicht identifizieren will. Dann öffnet sich die Situation, und er landet mit seiner Delegation am Verhandlungstisch. Auch hier kann sich der Zuschauer beteiligen, muss es aber nicht. Es ist kein Mitmachtheater. Wir können pro Tag nur 36 Zuschauer durchschleusen, es ist also eine ziemlich exklusive Geschichte, das Stück dauert trotzdem 75 Minuten.

Ist das ein dokumentarisches Format zum Nahostkonflikt?
Nein, es ist ganz klar kein dokumentarisches Stück. Es ist ein Stück, das auf präziser Recherche basiert. Ab einem bestimmten Moment der Verarbeitung des dokumentarischen Materials werden wir dann allerdings subjektiv, stellen sowohl unseren Standpunkt als auch rein theatrale Elemente angesichts des Konflikts ins Zentrum.

Fand die Recherche nur hier statt oder auch vor Ort?
Wir haben etwa 20 Interviews vor Ort geführt. In Israel haben wir mit zwei orthodoxen Rabbis gesprochen, die aber aus ganz verschiedenen Ecken kommen. Einer der beiden sagte, Israel sei sein Land, aber wenn die Palästinenser kämen, würde er mit den Palästinensern zusammenleben, das sei egal, es bleibe sein Land. Dieser Rabbi versucht, einen Dialog auf der Basis der Religion herzustellen. Wir haben den Sohn des zweiten Ministerpräsidenten Moshe Sharett und zwei erfahrene israelische Verhandler getroffen. In Ramallah hatten wir Gespräche mit dem obersten Scharia-Richter, mit einer Hausfrau, einem Kunststudenten und einem jungen Schauspieler, der gerade politische Comedy im palästinensischen Fernsehen einführt. Unsere Gesprächspartner hier in Europa waren der Forscher Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik und ein junger französischer Politologe – von Frankreich aus stellt sich der Konflikt ganz anders dar.

Inwieweit ist das Material in das Stück eingeflossen und wie fix oder variabel ist der Text?
Es gibt zwei Figuren, die konkret von Menschen inspiriert wurden, die wir getroffen haben. In die Texte der Verhandlung selbst sind viele Statements aus unseren Interviews eingeflossen. Für die Schauspieler gibt es ein fertiges Skript; sie müssen jedoch wachsam sein, wie der Zuschauer reagiert. Nichtsdestotrotz ist es ein fertiges Stück.

Nach der Recherche von Futur3: Gibt es eine Lösung für den Nahostkonflikt?
Wir haben von beiden Seiten Statements gehört, bei denen wir dachten, das ist jetzt die Wahrheit. Die vielversprechendste Friedensinitiative im Moment ist die inoffizielle Genfer Initiative, die von israelischen und palästinensischen Intellektuellen, Politkern und Wissenschaftlern ausgearbeitet wurde. Sie geht von einem atomwaffenfreien Israel und einem demilitarisierten palästinensischen Staat mit Sicherheitskräften, aber ohne Armee sowie einem starken Mandat der UNO aus. Aber es wäre vermessen zu behaupten, dass wir einen Lösungsansatz sehen. Uns geht es darum, eine andere Nähe zu schaffen, die im Idealfall dazu führt, dass man im Nachhinein tiefer in das Thema einsteigt. Eigentlich ist es ein Stück darüber, wie wir den Nahostkonflikt wahrnehmen und wie frustriert wir davon sind.

INTERVIEW: HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

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