Im Juli 2013 forderte der damalige Kölner CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Paul (50), das Pfand für Einwegflaschen von 25 auf 50 Cent zu verdoppeln. „Viele Menschen kommen mit ihren Niedriglöhnen oder ihren geringen Renten nicht aus. Eine große Zahl davon bessert daher mit dem Sammeln von Pfandflaschen ihren Lebensunterhalt auf. Sie könnten von der Pfanderhöhung direkt profitieren“, entblödete sich der Hinterbänkler in der Bildzeitung.Besonders in Wahlkampfzeiten hat das Sommerloch für wirklich jeden Schwachsinn ein Herz. Nur zur Erinnerung: Paul gehörte genau der CDU-Fraktion an, die damals vehement gegen einen Mindestlohn wetterte.
Der ist zwar jetzt eingeführt, wird an prekären Arbeitsverhältnissen und Armut aber nichts ändern. Die 8,50 Euro Mindestlohn, die Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) als großen Wurf feiert, wird von Experten als nicht ausreichend angesehen. Erst ab 10 Euro sei es möglich, das Altersarmutsrisiko zu minimieren. Trotz des jetzt bestehenden Mindestlohns, wird auch in Zukunft die Schere bei den Einkommen immer weiter auseinandergehen. Ungleichheit hat System bei der Besteuerung. Nur noch ein Drittel der gesamten Steuereinnahmen von rund 600 Milliarden Euro stammen aus der Einkommenssteuer. Der größte Teil stammt aus Konsumsteuern – der wohl ungerechtesten Steuer; denn je höher das Einkommen, desto unbedeutender ist die Mehrwertsteuer. Ein Milliardär verbraucht durchschnittlich nicht mehr Milch, als ein Hartz IV-Empfänger oder Geringverdiener. Die müssen aber einen viel höheren Anteil ihres Geldes für den Konsum einsetzen als der Milliardär, der mit seinem nicht verkonsumierten Geld sein Vermögen mehrt. Die kontinuierliche Erhöhung der Mehrwertsteuer offenbart die eklatante Unfähigkeit der letzten Regierungen, die höheren Einkommen stärker in die Pflicht zu nehmen und sich das Geld dort zu holen, wo es vorhanden ist.
Vermögen sind Studien zufolge in keinem europäischen Land so ungleich verteilt wie in Deutschland. Laut dem „Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung“ (DIW) besitzt das reichste Prozent der Deutschen im Schnitt 800.000 Euro. Ein Fünftel aller Erwachsenen hingegen verfügt über gar kein Vermögen und 17 Prozent haben mehr Schulden als Besitz. DIW-Studienautor Markus Grabka geht sogar davon aus, dass die Ergebnisse nur einen Teil der Realität abbilden und die Wirklichkeit wohl noch viel verheerender aussehe. Die Stichproben würden das Ausmaß der Vermögensungleichheit unterschätzen, weil Multimillionäre oder Milliardäre darin fehlten. Der Paritätische Wohlfahrtsverband warnt denn auch vor einer Gefährdung des sozialen Friedens. Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider spricht Klartext: „Die Vermögensschere in Deutschland ist nicht nur ungerecht und unsozial, sondern geradezu obszön.“
Bei den Vermögen setzt auch der neue Star der Politökonomie, Thomas Piketty, an. In seinem 816-Seiten-Wälzer „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ entlarvt der Franzose das Versprechen der Marktwirtschaft, der freie Markt sorge für den Wohlstand aller, als Mythos oder wahlweise dreiste Lüge. Die Konzentration von Vermögen und die Rendite, die aus ihnen gezogen wird, erhöht die Ungleichheit, so Pikettys These. Und er belegt, dass während Einkommen aus Kapitalerträgen seit dem 19. Jahrhundert im Schnitt zwischen viereinhalb und fünf Prozent liegen, das Bruttosozialprodukt im gleichen Zeitraum gerade mal zwischen einem und eineinhalb Prozent wächst. Einkommen aus Arbeit kann nicht mit dem Einkommen aus bereits angehäuftem Vermögen Schritt halten. Vermögen verdient einfach effektiver als Arbeitskraft.
Auch, weil Kapital pauschal mit 25 Prozent besteuert wird und vom persönlichen, progressiven Steuersatz abgekoppelt ist. Wer hat, dem wird gegeben, heißt es. Wird das Vermögen dann vererbt, wird es völlig abenteuerlich: Aus den rund 250 Milliarden Euro jährlich nimmt der Staat 4,6 Milliarden Erbschaftssteuer ein; lächerliche zwei Prozent. Deutschland ist eine Steueroase für reiche Erben und zementiert so die bestehenden Unterschiede. Allein ein Satz von 25 Prozent, wie bei der Abgeltungssteuer, würde demnach eine Summe von 62,5 Milliarden Euro in den Haushalt spülen – ein Zehntel des aktuellen Steueraufkommens. Mit dem Geld ließe sich in Infrastruktur und Bildung investieren und eine Abgabensenkung für Niedrig- und Normalverdiener realisieren. Die könnten dann fürs Alter vorsorgen und müssten sich später nicht mit Flaschensammeln durch den Lebensabend schleppen.
Aktiv im Thema
www.kinderarmut-in-deutschland.de
www.armut.de
www.kinderarmut-hat-folgen.de/index.php
www.dksb.de/content/start.aspx
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