„Weiß ist der Vorname der Zeit“, schreibt Botho Strauß in seinem Buch „Die Fehler des Kopisten“ (Hanser Verlag, 1997). Die aktuelle Ausstellung im Kunstraum Grevy ist eine Hommage an jenes Bildnis, spielt jedoch auch mit den der Farbe zugrunde liegenden Klischees von Reinheit und Unschuld. Wie ihr Bruder Schwarz wird auch Weiß von manchen Apologeten nicht als Farbe erachtet. Dieser Sichtweise erteilt die Werkschau eine facettenreiche Absage, sind dem Kolorit doch unzählbare Schattierungen, Übergänge und Reflektionsarten zu eigen. Die Naturwissenschaft beweist, dass alle anderen Farben erst durch die Absorption des weißen Lichts für das menschliche Auge wahrnehmbar sind. Als „Ur-Farbe“ steht dem einsilbigen Neutrum daher ein angemessener Raum zu – so die Überlegung der Initiatoren.
Rund 50 Werke huldigen jenem visuellen Ausdruck nun in Malereien, Fotografien, Videoinstallationen, Drucken und Mischtechniken. Dabei gelingt den Schöpfer:innen eine bildreiche Symphonie der Ästhetik, die sich nicht nur in Wohlgefallen äußert. Im Gegenteil – zeigt sich die Ausstellung auch von ihrer dunklen Seite, denn der Kontrast ist im Angebot inbegriffen. So versinnlicht Norberto Luis Romeros digitale Serie „Die Liebe des Herrn“ die Zuneigung der Katholischen Kirche (und ihrer auf Wolken schwebenden Patriarchen) als körperlich wie seelisch schmerzhafte Umarmungen mit der Peitsche auf nackter Jünglingshaut. Hier steigt die Scheinheiligkeit der Herrscherdynastie „Christentum“ in ungeahnte Höhen. Die Inhaftierung oder das Ausbrechen der Sexualität vollzieht sich dagegen in Sylvia Dölz' Objektkästen und „befleckten“ Papiercollagen. Daraus resultierende Sonnenuntergänge der Seele füllt Matthias Hloucha im Zuge seiner geometrischen Raster-Grafiken wieder mit Licht, das sich schon nach kurzem Aufenthalt vor den Drucken auszudehnen scheint. Die Trauer über den Verlust seiner Schwester verarbeitet Alo Schmitz mit modifizierten Schwarz-Weiß-Grafiken über die Schönheit seiner Stadt, der er melancholisch-symbolisch die Farbtöne entzog. Als innerer Schrei oder sakral-anmutende Stille webt susebee die Lettern w-e-i-ß in ihre Werke. Eher subtil klingen in den Arbeiten Religion und Skeptizismus an. Geradezu als körperlich fühlbare Komponente der Matrix eines gleißenden Universums offenbaren sich die Fotografien von Ralf Kardes, während die Objekte von Bernd Straub-Molitor taghelle Erinnerungen verwischen und somit auch die Gegenwart nur vage beleuchten. (td)
Weiß – Sieben Positionen zur Mutter aller Farben | bis 23.6., Do + Fr 15-19 Uhr, Sa 12-16 Uhr u.n.V. (Finissage: 18-21 Uhr) | Kunstraum Grevy | www.grevy.org
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