Schon die hochsauerländische Freilichtbühne Hallenberg wartete vorigen Monat mit einer Welturaufführung („Maria Magdalena“) aus der Feder von Paul Graham Brown auf. Nun folgte auf dem nordhessischen Schloss Biedenkopf (von dessen imposanten Burgturm man bis NRW blicken kann!) sein nächster Streich: „Der Postraub“.
Birgit Simmler, Kulturreferentin der Stadt und Intendantin der Schlossfestspiele, hat es sich zur Aufgabe gemacht, jährlich ein Musical zu einem regionalen Thema mit Talenten aus der Region – verstärkt durch einige Profis – auf die Bühne zu bringen. Sie selbst hat das Libretto zu „Der Postraub“ geschrieben und führt auch Regie, wobei wir auch schon bei den Schwächen der Produktion sind, die nie über die Qualitäten einer bemühten Schul-Aufführung hinwegkommt, wobei ausgerechnet die Profis gesanglich schwächeln. Erzählt wird die Geschichte eines Postkutschen-Überfalls aus dem Jahre 1822, in den eine arme Bauern-Familie verwickelt ist. Doch der plötzliche Reichtum und ein gewiefter Kriminal-Inspektor werden ihnen zum Verhängnis. Nur für die beiden Frauen der Bauernsöhne gibt es ein Happy End: sie wandern mit dem Rest der Beute nach Amerika aus. Wären da nicht Grahams großartige Songs (die Simmler allzu hölzern ins Deutsche übertragen hat) und die lobenswerte und gelungene Integration von Flüchtlingen in die Inszenierung, führe man enttäuscht zurück.
Während im „Postraub“ Abschied von der alten Heimat genommen wird, galt es bei den Burgfestspielen in Mayen einen realen Abschied zu feiern: 27 Bilder des scheidenden Intendanten Peter Nüesch im Andy-Warhol-Stil schmückten die Bühne, der es mit Erik Gedeons Senioren-Revue „Ewig Jung“ noch einmal richtig krachen ließ.
Schwester Fabienne und sechs ehemalige Schauspieler trällern im Altersheim die Songs ihrer Jugend, von „Born to Be Wild“ über „Forever Young“ bis hin zu „Sex Bomb“. Nüeschs präzise Regie holt schauspielerisch und gesanglich Höchstleitungen aus seinem genial auf uralt geschminkten Ensemble heraus, das sich auch von Fabiennes im besten Kammersängerinnen-Ton vorgetragenen, morbiden Liedern vom „Krepieren und Röcheln“ nicht „in die Kiste“ singen lässt. Ein wunderbar anarchischer Abend, bei dem alle leider viel zu früh „ins Bett“ geschickt werden.
So erging es auch den Fans des Musical-Stars Patrick Stanke („Jesus Christ Superstar“, „Mozart“, „Die 3 Musketiere“), der im Wuppertaler TiC sein 20-jähriges Bühnenjubiläum feierte, jenem Theater, auf dem er die Bretter, die die Welt bedeuten, einst entdeckte. In der unterhaltsamen Jubiläumsshow, die Stefan Hüfner mit seiner Band kongenial begleitete, begrüßte er ehemalige Weggefährten. Und bewies so ganz nebenbei, dass er mehr kann, als die Hits der Event-Musicals von Lloyd Webber und seiner Epigonen mit sich überschlagender Belt-Stimme herauszupressen: Seine Cole-Porter-Hommage machte Lust auf mehr Stanke und (old-fashioned) Broadway: „Let‘s do it, Patrick“.
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