Françoiz Breut hält die Fahne des Nouvelle Chanson hoch. Ihr fünftes Album „La Chirurgie des Sentiments“ ist eine in den Melodien wunderbar melancholische, in den Arrangements leichte und von ungewöhnlichen Sounds durchzogene Angelegenheit geworden. Das Album erscheint in Deutschland bei dem Kölner Label Le Pop, das die Sängerin Ende des Jahres auch für eine Tour nach Deutschland und Köln holt (Le Pop). Der Opener von „Shield“ ist schlicht furios. Drei Jahre nach „Veckatimest“ schütteln Grizzly Bear das Folk-Etikett nicht ganz ab, entwickeln aber immer mehr ihre eigene Version von 70er-Jahre-Softrock. Oder anders: Sie klingen, als hätte man Crosby, Stills, Nash & Young oder America an die Kunsthochschule geschickt (Warp). Das entdeckungsfreudige Jazz-Quartett Schneeweiss & Rosenrot lässt auf „Pool“ alle Grenzen hinter sich, so dass man eigentlich nicht mehr Jazz-Quartett sagen kann. Art Rock-Tradition scheint auf, Elektronik mischt sich ein, vielfältigste Stile und Stimmungen treffen sich. Schwer zu beschreiben, aber beziehungsweise deshalb eine Entdeckung wert (enja). Ähnliches gilt für Hans Unstern. Nach seinem kleinen Hit „Paris“ blieb der große Erfolg aus. Mit „The great Hans Unstern Swindle“ wird sich das kaum ändern. Zu den sperrigen, surrealen Texten (sein erstes Buch „Hanky Panky Know How“ ist gerade im Merve Verlag erschienen), die an die Bands Cpt. Kirk &. oder Workshop erinnern, gesellen sich nicht minder sperrige Songs, die sich die Klänge suchen, die die Texte brauchen. Der ehemals bärtige Waldschrat hat jetzt übrigens kurze blaue Haare und trägt Weiß (Staatsakt).
Michael Mayer, anteiliger Kompakt-Eigner und als DJ weltweit unterwegs, hat acht Jahre nach seinem Schnellschuss-Debüt mit „Mantasy“ ein zweites Album fertiggestellt. Die Hälfte der Tracks klingt auch diesmal nicht nach endloser Bastelei – hier ein EBM-Beat beim Titeltrack, dort frühe 90er Reminiszenzen wie bei „Neue Furche“. Dazwischen dann das wunderbare „Roses“ mit verzaubernden Vocals oder ein Techno-Boogie mit atmosphärischen Glöckchen. Jeppe Kjellberg von WhoMadeWho lässt den letzten Track – entspannter House – mit einem souligen „Let’s just have a good time“ ausklingen. Kein übergreifendes Künstleralbum, aber good time wird damit sicher möglich sein (Kompakt). Dub Step, Post-Dub Step … oder so. Der Brite Ital Tek macht entspannt unentspannte Musik. Um die wirr umherfliegenden Tippelbeats, die ein wenig an eine smoothe Version von Chicago Juke erinnern, gesellen sich entspannte Flächen und fiese 80s-Synthies. Durchaus reizvoll, diese Kontraste (Planet Mu).
Der neueste Schrei im Reissue-Business lautet Materialschlacht: Irgendwo finden sich immer noch alte Bänder von unveröffentlichten Stücken, frühen Versionen, alternativen Takes oder Livemitschnitten. So werden zum 35. Jahrestag Klassiker wie „Never mind the Bollocks“ von den Sex Pistols als 3er-CD-Box mit 53 Stücken plus DVD etc. veröffentlicht, Velvet Undergrounds Debüt schafft es gar auf 65 Stücke, darin ist allerdings zusätzlich Nicos Debüt „Chelsea Girls“ enthalten. Nicos drittes Album „The End“ kommt hingegen nur auf schlappe 17 Stücke. Als Bonus wurden lediglich 5 Stücke einer John Peel-Session und vier Live-Aufnahmen hinzugefügt. All das sind tolle Alben, aber das Mehr ist wohl eher etwas für akribische Forscher und Historiker, die die Nuancen der unterschiedlichen Aufnahmen hören und deuten können. Für den Otto-Normal-Hörer könnte die Masse die Qualität der Originalalben, die auf ihre Art alle Meilensteine sind, etwas vernebeln (Universal).
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Befreiung durch Verwandlung
Laura Totenhagen im Stadtgarten – Musik 11/24
Zurück zur Straßenmusik
Dan & Dota in der Kantine – Musik 11/24
Noise, Rap und Migration
Zwischen Bühne und Buchdeckel – Unterhaltungsmusik 11/24
Endlich Wochenende
13. Week-End Fest im Stadtgarten – Musik 10/24
Psychedelische Universen
Mother‘s Cake im Helios 37 – Musik 10/24
Aggressive Dringlichkeit
Internationale Acts von Rock über Hip Hop bis Avantgarde – Unterhaltungsmusik 10/24
Eine Party für die Traurigen
Romie in der Maulvoll Weinbar – Musik 09/24
Heftiger Herbstauftakt
Nach Open Air wieder volles Programm in Clubs und Hallen – Unterhaltungsmusik 09/24
Kein Bock auf Sitzkonzert
Mdou Moctar im Gebäude 9 – Musik 08/24
Sommerloch? Nicht ganz ...
Volle Packung Drum‘n‘Bass, Indie, Tuareg-Blues und Black Metal – Unterhaltungsmusik 08/24
Fette Beats im Wohngebiet
Green Juice Festival 2024 in Bonn – Musik 07/24
Vielfalt, Frieden und Respekt
3. Ausgabe von Shalom-Musik.Koeln – Musik 07/24
Die Ruhe im Chaos
Emma Ruth Rundle in Köln und Bochum – Musik 07/24
Helldunkler Sommer
Fröhlich und finster lockt die Festivalzeit – Unterhaltungsmusik 07/24
Und der Tag wird gut
Suzan Köcher‘s Suprafon beim Bonner Museumsmeilenfest – Musik 06/24
Wie im Moment entstanden
Waxahatchee im Gebäude 9 – Musik 06/24
Folklore-Crossover
Wundersame Mischungen im Konzert – Unterhaltungsmusik 06/24
Sehnsucht nach Nähe
Nichtseattle im Bumann & Sohn – Musik 05/24
Gesang mit Starqualität
Aka Kelzz im Yuca auf der Kölner c/o Pop – Musik 05/24
An der Front: Sängerinnen
Post Punk neu arrangiert und interpretiert – Unterhaltungsmusik 05/24
„Der Jazz wird politischer und diverser“
Jurymitglied Sophie Emilie Beha über den Deutschen Jazzpreis 2024 – Interview 04/24
Überbordende Energie
Dead Poet Society live im Luxor – Musik 04/24
In alter Blüte
Internationales Line-up beim Kunst!Rasen Bonn 2024 – Festival 04/24
Kleinteilige Tonalität
Das Festival „Acht Brücken“ erforscht die Zwischentöne – Festival 04/24
Einfach mal anders
Das stARTfestival der Bayer AG in Leverkusen geht eigene Wege – Festival 04/24