Die Aufmerksamkeit von Medien und Publikum konzentriert sich auf die großen Events des Kunstbetriebs, der sich heute gegen ein Unterhaltungsangebot nie gekannten Ausmaßes behaupten muss. Aber die Erde dreht sich auch in den Zeiten, die keinen Rummel beanspruchen, und diese Zwischenräume im Veranstaltungskalender sind manchmal Situationen, in denen man mehr über das Metier in Erfahrung bringen kann als in der lärmenden Atmosphäre der Vernissagen. Wenn sich die Schönen den Blicken ihrer Bewunderer entzogen haben, wenn sie durchatmen, sich auf die nächste Präsentation vorbereiten, dann kommt Friederike von Rauch zum Fotografieren. So findet sie etwa während der „Putzwoche“ Eingang in die Galerie des Zwinger, zehn Tage wird ihr die Gesellschaft mit den Alten Meistern in Dresden gewährt. Für die Gemächer des Schlosses Sanssouci vertraute man ihr sogar einen Schlüssel an. „Ich halte mich oft und lange an einem Ort auf, bis ich dann plötzlich eine überraschende Situation entdecke“, erklärt die 46jährige Berlinerin. Eine exquisite Auswahl ihrer Arbeiten zeigt jetzt das Forum für Fotografie in Köln unter dem Titel „Sleeping Beauties“.
Die Ausbeute ihrer Reise durch die „verwunschenen Räume“ gewährt einen Blick auf ungewöhnliche Stillleben, wenn Gemälde an die Wand gelehnt auf ihren nächsten Auftritt warten, oder wenn ihre Oberfläche wie Wunden über und über mit dem weißen Pflaster der Restauratoren verarztet wurde. In der Accademia in Venedig fotografierte sie Kunstwerke, die schon so lange verhüllt auf ihre Entdeckung warten, dass niemand mehr weiß, was sich unter den Verpackungen verbirgt. Friederike von Rauch, die mit ihren Publikationen und Ausstellungen in Brüssel, in Schloss Moyland oder dem Berliner Martin-Gropius-Bau zu den renommiertesten Fotografinnen Deutschlands gehört, folgt mit ihrer Kamera der klassischen Funktion des Stilllebens. Sie zeigt uns, dass die Dinge ein Eigenleben besitzen und auch dann existieren, wenn unsere Aufmerksamkeit nicht auf ihnen ruht.
Sie selbst bezeichnet ihre Arbeiten als „Zustände“, Momente, in denen das Fluidum eines Ortes festgehalten ist. Scheinbar unspektakulär in ihrer demonstrativen Ereignislosigkeit, verfügen diese Fotografien über eine visuelle Delikatesse, die dem Auge feinste Strukturen von Oberflächen darbietet, die erst durch Friederike von Rauchs Kamerablick in unser Bewusstsein rücken. Denn die Berlinerin entkleidet die Oberflächen der Kunstwerke subtil ihrer kunsthistorischen Bedeutung, sie macht sie als fast unschuldige Gegenstände wahrnehmbar und zugleich lockt sie uns damit, die Wände und Türen und Flure der Galerien auch als visuelle Entdeckungsfelder abzutasten. Eine Ausstellung, in der man gerne verweilt, um den anregenden Zustand visueller Konzentration in sich nachklingen zu lassen.
„Sleeping Beauties“ | bis 21.4., Mi-Fr 14-18 Uhr, Sa 12-18 Uhr, So 12-16 Uhr | Forum für Fotografie, Schönhauser Str. 8
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Immer einen Schritt voraus
Das Forum für Fotografie ist eine Konstante der Avantgarde im Rheinland – Kulturporträt 11/17
Umgeben von Wassermassen
„Skogar“ von Boomoon im Forum für Fotografie – Kunst 10/16
Frau zwischen den Bildern
Forum für Fotografie entdeckt englische Konzeptkünstlerin EJ Major – Kunst 02/16
Coole Jungs
Ken Heyman fotografierte die Pop Art in ihrer Geburtsstunde – Kunst 02/15
Smart, schnell und schön
Das Forum für Fotografie zeigt Ikonen der Leica-Fotografen – Kunst 06/14
Vorgarten der Unendlichkeit
Drei Ausstellungen zwischen Mensch und All – Galerie 12/24
Vorwärts Richtung Endzeit
Marcel Odenbach in der Galerie Gisela Capitain – Kunst 11/24
Mit dem Surrealismus verbündet
Alberto Giacometti im Max Ernst Museum Brühl des LVR – kunst & gut 11/24
Außerordentlich weicher Herbst
Drei Ausstellungen in Kölner Galerien schauen zurück – Galerie 11/24
Fragil gewebte Erinnerungen
„We are not carpets“ im RJM – Kunst 10/24
Geschichten in den Trümmern
Jenny Michel in der Villa Zanders in Bergisch Gladbach – kunst & gut 10/24
Ein Himmel voller Bäume
Kathleen Jacobs in der Galerie Karsten Greve – Kunst 09/24
Leben/Macht/Angst
„Not Afraid of Art“ in der ADKDW – Kunst 09/24
Lebenswünsche
„Körperwelten & Der Zyklus des Lebens“ in Köln – Kunst 09/24
Die Freiheit ist feminin
„Antifeminismus“ im NS-Dokumentationszentrum – Kunstwandel 09/24
Atem unserer Lungen
„Body Manoeuvres“ im Skulpturenpark – kunst & gut 09/24
Die Absurdität der Ewigkeit
Jann Höfer und Martin Lamberty in der Galerie Freiraum – Kunstwandel 08/24
Vor 1965
Marcel van Eeden im Museum Schloss Morsbroich in Leverkusen – kunst & gut 08/24
Atem formt Zeit
Alberta Whittle in der Temporary Gallery – Kunst 07/24
Niemals gleich
Roni Horn im Museum Ludwig – kunst & gut 07/24
Tage des Schlafwandelns
„Übergänge des Willens“ im KunstRaum St. Theodor – Kunstwandel 07/24
Das Gewicht der Gedanken
„scheinbar schwerelos“ im Zündorfer Wehrturm – Kunst 06/24
„Welche Wahrheit trauen wir Bildern zu?“
Kurator Marcel Schumacher über „Ein Sommer in vier Ausstellungen“ im Kunsthaus NRW in Aachen – Interview 06/24
Alle sind älter
Porträts über das Alter in der Photographischen Sammlung im Mediapark – kunst & gut 06/24
Suche nach Menschlichkeit
Burkhard Mönnich in der Galerie Martinetz – Kunst 05/24