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Philine Velhagen, Marc Fischer, Julia Dick, Katharina Sandner, Mirco Monshausen.Foto: Laura Schleder

Stresstest im Supermarkt

30. April 2014

Drei Kölner Performance-Gruppen experimentieren im Stadtraum – Premiere 05/14

Drei Gruppen – drei Interventionen im öffentlichen Raum. Unter dem gemeinsamen Titel „Fremdgehen“ schlagen sich Drama Köln, katze und krieg und Carambolages durch das urbane Dickicht in Köln. Die Formen des Eingriffs sind dabei unterschiedlich. Man kann auf besondere Weise bei Aldi einkaufen gehen, kann vertraute Orte mit fremdem Blick wahrnehmen oder schlicht mit dem eigenen Handy die ganze Stadt abhören.

choices: „Spywalk“ von Drama Köln scheint der ultimative Abhöralbtraum: Ich kann meine Mitmenschen abhören.

Marc Fischer
Foto: Laura Schleder

Drama Köln: Man braucht ein internetfähiges Smartphone. Über eine Web-App, die man auf unserer Seite findet, kann man in Wohnungen reinhören, Computerinhalte und Handygespräche mitverfolgen.

Geht es da mehr um unseren alltäglichen Voyeurismus oder soll ich mich in die NSA einfühlen?
Drama Köln:
Alles, was machbar ist, wird auch gemacht. Es hat mit der totalen Überwachung durch die NSA zu tun, aber auch der Verführung, der man nachgibt. Man wird einigen Dingen gerne zuhören, anderen lieber gar nicht.

In allem Gold“ von katze und krieg experimentiert dagegen mit der Langsamkeit: Was geht Ihnen in unserem Alltag zu schnell?
katze und krieg:
Das Stück ist in einer Zeit entstanden, als wir viel Stress hatten. Ich habe mich als Künstlerin ständig unter Druck gefühlt, etwas Neues abliefern zu müssen. Auch weil meine Zukunft so unsicher ist. Wie bei vielleicht vielen anderen Menschen musste alles in meinem Alltag sehr schnell gehen, so dass ich die Dinge nicht mehr bewusst wahrnahm.

Warum spielt das Stück im Supermarkt?
katze und krieg:
Der Supermarkt, zum Beispiel Aldi, ist Inbegriff der Durchrationalisierung unserer Körper im Alltag. Wenn man bei Aldi an der Kasse steht, ist das ein Moment höchster Konzentration. Man muss vorbereitet sein, um alles flüssig bewerkstelligen zu können. Während ich gucke, ob ich Geld habe oder mit Karte zahlen muss, bräuchte ich fast eine zweite Person, die meine Sachen einräumt. Es gibt keinen Austausch mehr, ich bin nur noch eine Maschine, die das Geld gibt.

Es geht also um Entschleunigung?
katze und krieg:
Es geht um Bewusstheit. Und Entschleunigung kann ein Weg dazu sein. Aufgrund der Beschleunigung im Alltag nehme ich mein Umfeld nicht mehr bewusst wahr. Je langsamer ich mich bewege, desto mehr kann ich mich für mein Umfeld öffnen und dieses wahrnehmen.

Diese bewusste Wahrnehmung ist auch Thema beim „Gang mit einem Fremden“ von Carambolages. Es knüpft an das Buch „Der Papalagi“ von Erich Scheurmann an, in dem ein fiktiver samoanischer Häuptling Europa bereist.
Carambolages:
Dieser Häuptling beschreibt simple Sachen wie Arbeit, Wohnen und Kleidung und setzt es in Beziehung zu dem, was er kennt. Er tut das mit einfachen Worten, was teilweise sehr amüsant ist. Wir haben eine neue Figur namens Federmann erfunden, ein Nachkomme dieses Häuptlings, der hier aufgewachsen ist, sich aber diese „naive“ Sichtweise bewahrt hat. Er läuft durch Köln und beschreibt den Zuschauern, was er sieht. Er sagt zum Beispiel, die Menschen hier sitzen in komischen Räumen, wo das Licht durch Löcher einfällt und hüllen sich in Mauern.

Geht es dabei um fremde Räume in der Stadt oder um vertraute Räume, die ich mit anderen Augen sehe?
Carambolages:
Es geht darum, scheinbar vertraute Räume in unvertrauter Umgebung kritisch zu betrachten. Wir starten in der Stegerwaldsiedlung und wollen dann in die umgebenden Industriebrachen ausschwärmen. Wir klingeln bei Leuten und bitten die Bewohner, uns zu erklären, wie sie wohnen und wie sie sich kleiden.

Es geht also um Alltäglichkeit. Ist das nicht das Problem beim Abhören. In der Regel bekomme ich doch 99 Prozent Alltagsinfos, wenn ich meine Mitmenschen abhöre?
Drama Köln:
Einmal ist es ein AB, den man abhört, dann ein Gespräch zwischen Bankern, dann geht es um den Kontoauszug eines Hartz-IV-Empfängers. Es werden alltägliche Dokumente zu hören sein, und vielleicht ruft auch Mirco Monshausen ganz real bei einer Firma an, über die man eine App aufs Handy anderer Menschen, z.B. seiner Kinder, laden kann, um sie zu überwachen. Wir versuchen ein Gefühl des Misstrauens und der Paranoia, aber auch den vorauseilenden Gehorsam aufgrund der allgegenwärtigen Überwachungskameras mit zu thematisieren.

Schon „we watch you watch“ von Drama Köln tendierte zur Unsichtbarkeit. Ist „Spywalk“ noch eine Intervention oder geht es um Theater als Mimikry an den öffentlichen Raum?
Drama Köln:
Wir arbeiten bei diesem Projekt tatsächlich ohne sichtbare Schauspieler. Dennoch ist es ein theatraler Umgang mit der Stadt. Die Art und Weise, wie und wo man abhört, durchbricht die Alltäglichkeit des öffentlichen Raums. Durch das, was man hört, verändert sich z.B. der Platz, an dem man sich gerade aufhält. Im besten Fall sollte etwas Drittes entstehen, der Blick und die Wahrnehmung werden durch das gelenkt, was eingespielt wird.

Bei katze und krieg ist es umgekehrt, Sie wollen die Sichtbarkeit im öffentlichen Raum?
katze und krieg:
Wir verrichten eine ganz alltägliche Handlung und gehen einkaufen, also nichts Verbotenes. Es gibt nur diese Verrückung, dass alles sehr viel langsamer passiert und dass wir dazu keine Alltagsklamotten, sondern Abendkleider tragen. Dadurch werden wir sichtbar. Und das Umfeld reagiert auf uns. Die Zuschauer sollten sich im Supermarkt verteilen und idealerweise unauffällig verhalten und beobachten was passiert. Das ist ähnlich wie bei einem Flashmob; einige machen mit, andere sind nur dabei.

Und das ist alles durchchoreographiert?
katze und krieg:
Es geht um die Bewusstheit des Vorgangs. Wir schauen uns vorher genau an, wo wir hingehen, was und wie wir einkaufen. Wir inszenieren diesen Einkauf total durch, machen also etwas ganz Alltägliches ganz groß.

Und wie ist das bei Carambolages, wie viel bleibt bei Ihrem Stadtrundgang dem Zufall überlassen?
Carambolages:
Das Ziel von Carambolages ist ja die Verknüpfung von Musik, Schauspiel und Literatur und dafür brauchen wir einen Ort, an dem die Musik auftauchen kann. Wir werden also vorher eine Strecke festlegen. Aber alles, was unterwegs passiert, so z.B. der Versuch in eine Wohnung zu gelangen, ist nicht inszeniert.

„Spywalk“ | 13.-18.5. 8-19h | Start: Nähe Neumarkt (Kopfhörer mitbringen!)

„Gang mit einem Fremden“ | 16.-18.5. 19 Uhr | Start:Wiener Platz / Stadtsparkasse

„In allem Gold“ | 14.5. 19 Uhr | Start:Ecke Neusser / Kuenstraße | 15.5. 19 Uhr | Start: Ecke Richmodstraße / Neumarkt | 17.6. 16 Uhr | Start: Ecke Dürener / Universitätsstraße

„Wem gehört die Stadt?“ – Diskussion mit Oliver Niermann, Thomas Krutmann und katze und krieg | 13.5. 20 Uhr | Klub Genau

Crypto Party | 17.5. 21 Uhr | Ort siehe www.drama-koeln.de
Karten und Info: 0177 65454 68 oder info@drama-koeln.de, www.drama-koeln.de

Drama Köln wird von der freischaffenden Theater- und Hörspielregisseurin Philine Velhagen geleitet, die Projekte u.a. am Pathos transport theater, Garage X Wien, FFT Düsseldorf realisiert hat. Seit 2012 leitet sie Drama Köln. „Spywalk“ entsteht zusammen mit dem Schauspieler Mirco Monshausen, deran der Folkwang-Hochschule in Essen studiert hat und regelmäßig mit freien Theatergruppen in Köln und München arbeitet.

Carambolages
wurde von der Schauspielerin Ulrike Schwab und dem Musiker François de Ribaupierre gegründet. Ihr Ziel sind künstlerische Interaktionen aus Schauspiel, Musik und Literatur. Bei „Gang mit einem Fremden“ wirkt außerdem der Schauspieler Marc Fischer mit, der für das Gespräch Rede und Antwort stand.

katze und krieg, das sind Julia Dick und Katharina Sandner. Kennengelernt haben sich die beiden auf der Hochschule der Bildenden Künste in Braunschweig. Seit fast acht Jahren arbeiten sie als Performance-Duo, das mit seinen Aktionen im öffentlichen Raum eingefahrene urbane Strukturen in Frage stellt.

HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

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