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Philine Velhagen
Foto: Oliver Bedorf

„Abhören verändert die Vergangenheit“

22. Februar 2018

Philine Velhagen über ihren Theaterabend „I am your private dancer“ – Premiere 03/18

Abgehört zu werden, ist Alltag. Wenn wir über einen öffentlichen Platz gehen, sind Kameras eine Selbstverständlichkeit. Alexa, Rauchmelder, Smartphone und Computer haben uns auch zuhause im Visier. Da Industrie und Staat das so wollen und wir auf unsere digitalen Spielsachen nicht verzichten, geht die Überwachung seinen ruhigen Gang. Was bleibt dann noch von unserer Privatheit? In einem Selbstversuch hat Philine Velhagen sich und ihre Umgebung eine Woche lang komplett abgehört. Daraus ist zunächst ein Hörspiel für den WDR entstanden. Nun bringt sie das Material auf die Bühne des Freien Werkstatt Theaters.

choices: Frau Velhagen, wie haben Sie sich abgehört?
Philine Velhagen: Im März 2017 habe ich mich eine Woche rund um die Uhr mit dem Smartphone aufgenommen. Wenn ich mich mit Freunden getroffen habe, beim Arbeiten, zuhause in der Küche oder im Badezimmer, aber auch die ganze Nacht. Für mich war also immer klar, dass aufgenommen wird. Das verändert mein Handeln in Situationen natürlich. Es ging mir aber vor allem um das Abhören, von dem die anderen nichts wissen. Also das, was Apps machen, ohne dass man darüber die Verfügungsgewalt hat. Sie nehmen dich auf, auch wenn dein Mikrofon eigentlich abgeschaltet ist. Mein Smartphone lag also immer da und hat alles mitgeschnitten. Wie ein Trojanisches Pferd eben.

War das eher ein Selbstversuch oder ging es darum, auf die Gefahr des Abhörens hinzuweisen?
Es war ein naiver Selbstversuch, der erst einmal wertfrei ist: Wie fühlt sich das konkret an? Was macht das mit meinem Leben? Wie wirkt sich das auf mein Leben mit anderen aus? Es ging also nicht darum, die böse NSA bloßzustellen, sondern rauszukriegen, was da passiert. Ich habe währenddessen Tagebuch geführt, habe mich der Erfahrung ausgesetzt, meinen aufgenommenen Alltag später nachzuhören – was bei der Datenmenge kaum möglich war. Ich habe die Aufnahme von einer Transkriptionsmaschine auslesen lassen oder beispielsweise versucht, das Material zu verschlagworten. Also wie oft sagt man was. Auch die NSA verschriftet ihre Abhörergebnisse, um sie durchsuchbar zu machen, oder Google leitet daraus mein zukünftiges Kaufinteresse ab. Eins meiner Topwörter war zum Beispiel „Wäsche“ und „Unterwäsche“, weil ich in dieser Woche ständig mit den Kindern morgens beim Anziehen darüber geredet habe.

Haben Sie Dinge erfahren, die Sie nicht wussten?
Dass ich im Schlaf spreche, das wusste ich schon. Dass ich komplett durchschnarche, war mir nicht so klar. Man wird sich schon fremd, wenn man das wiederhört. Das Unheimlichste war die Situation, als ich das Handy zuhause vergessen habe und dann mein Freund abgehört wurde. Darin steckt auch die Sehnsucht nach dem Drama. Was macht er, wenn ich nicht da bin? Voyeurismus spielt da natürlich auch mit rein. Es war aber nicht mein Ansatz andere zu verwanzen, um zu erfahren, worüber sprechen sie, wenn ich nicht dabei bin.

Wussten die abgehörten Freunde eigentlich von Ihrem Projekt?
Ich habe es meinem Freund erzählt, aber er hatte es in der Woche auch schon mal vergessen. Dann hatte ich einige Freunde eingeweiht, sie wussten aber nicht, wann ich das realisiere. Und es gab andere, die nichts wussten. Mit denen gab es auch Ärger. Da geht es dann um Ehrlichkeit und Verrat.

Was hat die Leute verärgert?
Es ist etwas anderes, wenn ein Individuum oder eine Maschine das Mikrofon einschaltet. Bei Amazon, Google etc. weiß ich, dass die das vermutlich machen, unter Freunden erwartet man das nicht. Den Missstand beweisen zu wollen, rechtfertigt das Abhörmanöver genauso wenig wie das Etikett Kunst. Man bewegt sich also in einem Paradox. Ich selbst hatte mich schon dran gewöhnt, mich selbst abzuhören. Meine Hemmschwellen waren andere. Ich habe vielen dann erst mehrere Monate später gesagt, dass ich mitgeschnitten habe. Manche haben darauf unmittelbar körperlich reagiert mit Herzklopfen und großer Wut. Wenn das Abhören bekannt wird, verändert sich die Vergangenheit rückwirkend. Eine Wirklichkeit, die einmal wahr war, verwandelt sich durch diese neue Information völlig.

Wie hat das mitlaufende Smartphone Sie selbst verändert?
Bei mir erhöhte sich die soziale Kontrolle. Ich habe mich viel mehr zusammengerissen. Bei einer Situation mit den Kindern ist mein Freund ausgeflippt, ich dagegen nicht. Für mich hallte das Erlebnis dann lange nach. Ich hatte weiter das Gefühl, unter Beobachtung zu stehen.

Was verändert sich mit der Übertragung auf die Bühne?
Ich wollte weg von der großen Kontrolle, die ich beim Hörspiel ausgeübt habe und suche auch nach einer Ausweitung von Zeit und Raum mit dem Material. Das wird kein durchinszenierter Abend, es geht eher um eine gemeinsame Sichtung der Daten und ein Spielen/Konstruieren mit dem Gefundenen. Im FWT wird es einen Einheitsraum geben, in dem der Grundriss meiner Wohnung wie in „Dogville“ nachempfunden ist. Es gibt mehrere Abhörstationen darin wie das Bett, die Küche oder mein Büro mit ca. 30 Kopfhörern. Und dann hören wir gemeinsam. Hier und da habe ich zwar vorsortiert, damit wir spielen können. Aber da das ganze Material sehr umfangreich ist, kann ich nicht alles durchchecken, es basiert also tatsächlich auf dem Moment des Zufalls.

Stehen Sie selbst mit auf der Bühne?
Ja. Die Leute kommen auf meine private Bühne und ich bin die Regisseurin. Ich erzähle von dem Versuch und erläutere die Spielregeln. Es geht dabei nicht nur darum, dass ich mich selbst abgehört habe, sondern auch um die Entscheidung der Zuschauer, frei mit meinen Daten zu agieren. Wenn sie sich als Abhörstation für das Bett und Uhrzeiten nach 22 Uhr entscheiden, sagt das auch etwas über sie selbst aus. Dann wird es eine Station mit einem roten Kopfhörer geben. Das ist mein Giftschrank, an den nur Leute dürfen, die ich vorher ausgesucht habe und denen wir dann beim Zuhören zusehen – wenn überhaupt. Im besten Fall ist es also keine Exhibitionisten-Show nach dem Motto „Was sie schon immer über Philine Velhagen wissen wollten…“. Das Publikum soll den Transfer auf sich selbst vollziehen. Sich die Frage stellen, was ihr intimster Moment wäre. Wo die eigene Grenze erreicht ist? Was das eigene Handy aufnehmen könnte? Für mich ist es sehr intim, jemandem beim Schlafen zuzuhören. Für jemand anderen klingt das nur nach Geschnarche. All das steht letztlich beispielhaft für Privatheit und wie wir damit umgehen. Inwieweit man darüber in einen Austausch kommt, wird man sehen.

„I am your private dancer“ | R: Philine Velhagen | 2.-6.3. 20 Uhr | Freies Werkstatt Theater | 0221 32 78 17

Zur Person
Philine Velhagen arbeitet und lebt in Köln und München als freie Theater- und Hörspielregisseurin. Sie studierte Theaterwissenschaft und Komparatistik an der LMU in München und arbeitete sie als Assistentin am Theater Basel. Sie realisierte u.a. Projekte im öffentlichen Raum in Köln, München und Düsseldorf. Seit 2012 ist Philine Velhagen künstlerische Leiterin von Drama Köln („Die Stimmen der Dinge“, „Hotel Köln“).

Interview: Hans-Christoph Zimmermann

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