Am Dienstag fand im Hohen Dom zu Köln eines der Eröffnungskonzerte des diesjährigen „Acht Brücken“-Festivals statt. Der Andrang war groß: Bereits um Viertel vor acht gab es keinen freien Sitzplatz mehr. Das Publikum bestand zwar überwiegend aus gestandenen Musikliebhabern und Herrschaften gesetzteren Alters, doch hatte sich auch junges ausgehfreudiges Volk darunter gemischt.
Zum Auftakt spielte Dom-Organist Winfried Bönig seine Komposition „lux et color“, eine musikalische Interpretation des Domfensters von Gerhard Richter. Das fügt sich aus 11.000 Teilen zusammen – und so auch das Stück, bei dem die Grundtöne elektronisch angespielt und dann über die Register moduliert werden. So erklang die Orgel mal als düsteres Dröhnen, mal als hochfrequentes, mehrstimmiges Zwitschern: die Orgel als analoge Antwort auf die synthetische Klangerzeugung der elektronischen Musik.
Danach gab es den „Gesang der Jünglinge“ von Karlheinz Stockhausen. Im Klangraum des Doms wurde deutlich, was dieses Stück zu einem Meisterwerk macht: Es ist der kompositorische Dialog zwischen Knabengesang und synthetischen Sounds, in dessen Verlauf der Gesang selbst zur stimmigen Klangfarbe wird. Ausgestrahlt über mehrere Lautsprecher, im ganzen Dom verteilt, konnte man den Tönen und ihrer stimmlichen Bedeutung „hinterher hören“. Auch die Phonetik als dramaturgisches Gestaltungselement, das Spiel mit der Stimme, war dabei gut erkennbar. Im Verlauf des Stückes war der gesungene Text mal deutlich zu verstehen, mal durch Effekte nur noch phrasenhaft, bis hin zur kompletten Verfremdung. Verwandelt in Klänge, huschte der Knabengesang wie Schatten durch das Langschiff des Doms oder rieselte wie viele kleine Granulat-Teilchen auf das Publikum nieder. Das Zuhören wurde zu einem Erlebnis und Stockhausen als Meister seines Metiers begreifbar.
Am Ende feierte die junge Komponistin Lisa Streich Uraufführung mit „Agnel“, einem Stück für Chor, Objekte, Knabenstimme und Elektronik. Streich selbst übernahm Klangregie und steuerte die Elektronik aus dem Hauptschiff, Chor und Dirigenten sangen aus Emporen hoch über den Köpfen des Publikums. Dadurch allerdings geriet der Gesang sehr leise und verhallte häufig, noch bevor er seine Zuhörer wirklich erreichen konnte. Die minimalistische Komposition aus reduzierten Klängen wie Rascheln, Rasseln oder fiepsenden Sinustönen im Spiel mit den zwölf Stimmen des Chors mutete zwar sehr feierlich an, konnte sich durch die zurückhaltende Lautstärke aber nicht gegen die Imposanz der vorher gehörten Stücke durchsetzen.
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