Die Räume des Chaos Computer Club Cologne in Ehrenfeld erinnern an einen Hackerfilm: Schummrige Beleuchtung, bunte LED´s, Kabelwirrwarr an der Decke und Poster an den Wänden, ein kleiner Tannenbaum, geschmückt mit Technikkrimskrams, Platinen und Festplatten liegen herum. Kreatives Chaos auf 170 m². Es gibt auch eine kleine Küche, im Kühlschrank stehen Malzbier und Thymian-Limonade.
Snoopy und Jochim Selzer sitzen mit Laptop auf dem Schoß in abgewetzten Ledersesseln. Beim C4, wie der Kölner Ableger des Vereins genannt wird, ist heute nichts los. Vor der Pandemie waren beim offenen Donnerstagstreff „Open Chaos“ immer mindestens zehn Leute, erzählt Snoopy. Der Informatikstudent, der im Verein nur mit seinem Synonym angesprochen wird, ist Pressesprecher und seit etwa vier Jahren beim C4. „Jeder ist willkommen. Wir arbeiten an eigenen oder gemeinsamen Projekten und tauschen uns aus“. Am letzten Donnerstag des Monats gibt es einen Vortrag. Wegen Corona ist der Club für Außenstehende aktuell geschlossen, Vorträge finden online statt.
Selzer, seit 2013 dabei, ist ausgebildeter Mathematiker und arbeitet bei einem großen Versanddienstleistungsunternehmen. Bei sogenannten Cryptopartys unterstützt er Laien beim verantwortungsvollen Umgang mit ihren Geräten. Nutzern von Smartphones oder Laptops möchte er zeigen, was diese Geräte wirklich können und machen, welche Nebeneffekte es gibt und wie man seine Daten vor unbefugten Personen schützt.
Zwischen Untergrund und Vereinsleben
Seit fast vierzig Jahren gibt es den Chaos Computer Club e.V. (CCC) auf Bundesebene, in über 50 deutschen Städten mittlerweile auch als lokalen Verein. Nachdem der CCC durch frühere, halblegale Aktivitäten in die kriminelle Ecke gedrängt wurde, habe man „in den 80ern die Wahl zwischen Untergrund oder Vereinsleben“ gehabt und sich für letzteres entschieden, erzählt Selzer.
Anfang der 90er Jahre habe die Szene festgestellt, dass das „wilde Rumgehacke und schlauer sein als der Staat“ nur eine Zeitlang gut gehe. So endete der KGB-Hack etwa mit dem Tod des Hackers Karl Koch, dessen Ursache nie ganz aufgeklärt wurde. Auch der vermeintliche Selbstmord des jungen Hacker Boris F., auch Tron genannt, gibt bis heute Rätsel auf. Als der CCC merkte, dass sein Handeln Konsequenzen hat, sei es zur Entscheidung für den Verein gekommen, erklärt Selzer. Hacken sei nämlich eigentlich etwas Positives, es gehe um einen kreativen Umgang mit Technik, so Snoopy. Er nennt das Beispiel eines Toasters: Mit ein wenig Phantasie könne man damit auch ein Ei braten. Technik dürfe auch einfach nur Spaß machen oder Schönheit erzeugen. Der Chaos Computer Club sei ein „wilder Mix aus technischem und politischem Verein“. Mit verschiedenen Projekten fördere der Verein Kinder- und Jugendliche, auch einen höheren Frauenanteil und eine sexismusfreie Umgebung strebe man an.
Den politischen Teil erklärt Selzer so: „Wir wollen der Allgemeinheit nutzen und uns am gesellschaftlichen Diskurs beteiligen“. Eine festgeschriebene Hackerethik gibt die Regeln vor. So soll ein Hacker oder eine Haeckse nicht in privaten Daten wühlen, sondern sich an die wenden, die von Sicherheitslücken betroffen sind. Zweitens: Öffentliche Daten nützen, private schützen. Dem Verein sei es wichtig, dass der Staat als steuerfinanziertes Organ Informationen offenlege, davon könne die Gesellschaft nur profitieren.
Öffentliche Daten nützen, private schützen
Das Informationsfreiheitsgesetz sei ein „großes Heiligtum“, so Snoopy. Aktuell arbeite er etwa mit anderen Mitgliedern am Projekt „Kameras stoppen“. Die Initiative, die sich gegen den Ausbau der Überwachungskameras auf öffentlichen Plätzen in Köln richtet, wurde ursprünglich von Kölner Privatpersonen gegründet. Diese wandten sich an den C4, der Technik-Expertise beisteuert. Snoopy fand nicht nur heraus, um welche Kameras es sich genau handelte und was diese können – sondern auch, dass die Kölner Polizei kein Datenschutzkonzept vorlegen kann und aus Sicht des CCC eher verantwortungslos mit dem Thema umgeht. Auf Anfrage erhielt er keine oder nur unvollständige Daten. „Meinetwegen sollen sie Kameras aufhängen, aber dann hätten wir gerne Transparenz und dass sie sich an rechtliche Rahmenbedingungen halten.“
Selzer sieht ein Problem in den wiederkehrenden Versuchen, das Internet zu regulieren. Er wünsche sich, dass es als anarchischer Ort erhalten bleibe und befürchte eine „Zensurinfrastruktur“. Mit der Einführung der Vorratsdatenspeicherung und der Überwachung der Kommunikations-Metadaten habe es im Jahr 2006 angefangen. 2009 führte die damalige Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen zur Bekämpfung von Kinderpornographie Internetsperren ein, erzählt Selzer. Diese seien aus Perspektive des CCC ein Universalwerkzeug, mit welchem das Internet umfassend reguliert werden könne.
Sündenbock Internet
Ursache und Wirkung dürfe man nicht verwechseln: „Das Internet hat nicht die radikalen Schreihälse erzeugt, es hat ihnen nur Gehör verschafft.“ „Um im sozialmedialen Aufmerksamkeitswettbewerb aufzufallen, muss ich lauter und aufregender sein als die anderen und das geht am einfachsten, wenn ich mich an ein ohnehin emotionsgeladenes Thema hänge und noch eine Schippe drauflege“, ist er überzeugt. „Wir haben das oligarchische Nachrichtensystem durch ein anarchisches ersetzt. Aber die Fähigkeit, Quellen zu verifizieren und Nachrichten auf ihren Wahrheitsgehalt hin abzuklopfen, haben wir nicht entwickelt.“ Selzer warnt jedoch vor voreiligen Schlüssen: Wer meine, „das alles läge am bösen Internet, und wenn man das abschalte oder wenigstens schön reguliere, sei alles wieder fein“, suche vor allem einen Sündenbock, dem er die Schuld an allem Übel dieser Welt zuschieben könne. Er habe keine perfekte Antwort darauf, was besser wäre, doch „gesellschaftliche Probleme könne man kaum mit Technik lösen.“ Trotzdem müssten bedenkliche Online-Beiträge in irgendeiner Art sanktioniert oder verhindert und Menschen aufgeklärt werden. Die Zerschlagung von Machtgiganten wie Facebook und Google hält er dagegen für eine gute Idee: „Es haben sich Machtzentren gebildet, die definieren, wie wir die Welt zu sehen haben.“
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