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Cornelia Sindermann
Foto: Elvira Eberhardt

„In die Blase hineingesteckt und allein“

25. Januar 2022

Psychologin Cornelia Sindermann über Filterblasen und Echokammern – Teil 3: Interview

choices: Frau Sindermann, wie gut können wir Meinungen anderer noch aushalten und schätzen?

Cornelia Sindermann: Wie gut eine Person Meinungen anderer aufnehmen, verarbeiten, aushalten oder auch schätzen kann, ist individuell sehr unterschiedlich. Diese Unterschiede bestehen aufgrund unterschiedlicher persönlicher Einstellungen, Motivationen und stabiler Persönlichkeitseigenschaften.

Neben solchen persönlichen Charakteristika beeinflusst aber auch die Umwelt wie eine Person Informationen, auch Meinungen anderer, verarbeitet. „Die Umwelt“ können Menschen sein, mit denen eine Person spricht, aber auch Nachrichten oder Informationen, die die Person konsumiert, genauso wie die Eltern und die Erziehung sowie die eigenen Erfahrungen.

Wir können uns sehr breit und heterogen informieren“

Fördert oder behindert die Medienlandschaft eine sachliche Auseinandersetzung miteinander?

Der Informations- und Nachrichtenkonsum digitalisiert sich immer weiter. Das Internet und damit verbundene Geräte geben uns die Möglichkeit, uns extrem breit zu informieren und uns mit verschiedenen Meinungen auseinanderzusetzen – über verschiedenste Nachrichten aus der ganzen Welt, aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet. Durch das Internet wird das wesentlich leichter als es das früher analog war. Einerseits ist das gut, denn wir können uns so sehr breit und heterogen informieren und darüber verschiedene Meinungen aufnehmen, verarbeiten und sie in unser eigenes Weltbild integrieren. Andererseits können wir uns im Internet nicht nur sehr breit informieren, sondern auch sehr einseitig, also nur bezogen auf unsere eigenen Meinungen und unsere Interessen. Da es für jedes Thema und für jede Ansicht alleine schon sehr viel Content im Internet gibt, können wir mit dem Konsum dieses Contents schon viele Stunden jeden Tag verbringen. Was, wo und wie viel wir dann letztendlich wirklich konsumieren, hängt dann wiederum von den individuellen Charakteristika und Umweltfaktoren ab, aber auch von Algorithmen im Internet. Zusammen beeinflussen diese Faktoren natürlich auch, inwieweit wir uns noch mit unterschiedlichen Meinungen auseinandersetzen.

Der Person ist nicht unbedingt klar, dass sie sich in einer Blase befindet“

Was ist dran an den Effekten von Filterblasen und Echokammern?

Der Mythos der Filterblase ist vor ca. 10 Jahren entstanden. Der Begriff beschreibt eine Informationsumwelt, in der sich eine Person befindet. Darin soll sie hauptsächlich oder im Extremfall ausschließlich Informationen ausgesetzt sein, die den eigenen Ansichten oder Interessen dieser Person entsprechen. Per Definition entsteht die Filterblase durch Algorithmen im Internet. Das Bild der Blase soll verdeutlichen, dass die Wände durchsichtig sind. Der Person darin ist also nicht unbedingt klar, dass sie sich in einer Blase befindet. Zudem verdeutlicht der Begriff, dass Personen in die Blase hineingesteckt werden und jede Person in ihrer Blase alleine ist. Die Echokammer beschreibt ein ähnliches Endprodukt: Eine homogene Informationsumwelt, in der man hauptsächlich oder nur Informationen ausgesetzt ist, die den eigenen Ansichten entsprechen. Bei einer Echokammer ist jedoch nicht definiert, wie sie entsteht; eine Echokammer könnte nicht nur durch Algorithmen, sondern auch durch selbst initiierte Filterung entstehen. Davon spricht man, wenn eine Person beispielsweise entscheidet, nur bestimmte Artikel zu lesen. Es gibt auch die soziale Filterung, wenn die Person konsumiert, was Freunde mögen. Wie eine Echokammer entsteht, ist also viel variabler als bei einer Filterblase. Das Endprodukt – die homogene und zu den eigenen Ansichten passende Informationsumwelt – ist jedoch ähnlich. Beide Phänomene werden hauptsächlich im Bereich Internet und soziale Medien diskutiert. Das liegt daran, dass es beispielsweise in sozialen Medien Algorithmen gibt, man dort selbst Informationen für sich filtern kann und dort das soziale Netzwerk die eigene Informationsumwelt mitbestimmen kann. Letzteres bedeutet, dass das, was Freunden gefällt, auch der betroffenen Person mit höherer Wahrscheinlichkeit gezeigt wird.

Ob es solche Filterblasen und Echokammern, also absolut homogene Informationsumwelten, in denen Personen ausschließlich Informationen konsumieren, die den eigenen Ansichten entsprechen, tatsächlich gibt oder nicht, dazu gibt es eine starke wissenschaftliche Debatte. Einige Expert:innen sind der Ansicht, dass sie vorhanden sind. Unsere eigenen Studien zeigen allerdings, dass die meisten Personen tatsächlich über viele verschiedene Online- und Offline-Medien Informationen konsumieren. Und über diese Medien hinweg werden Personen auch mit Informationen konfrontiert, die nicht ihren eigenen Ansichten entsprechen. In einer unserer Studien waren es beispielsweise weniger als 3 Prozent der Befragten, die angaben, niemals mit Informationen konfrontiert zu werden, die nicht den eigenen Ansichten entsprechen. Das spricht dafür, dass das absolute Filterblasen- oder Echokammern-Phänomen nur extrem selten vorkommt.

Es geht immer um ein Matching“

oder umgibt man sich einfach gern mit Menschen, die einem ähnlich sind?

Es ist ein Zusammenspiel aus Algorithmen und aus dem, wie wir selbst oder andere, wie Freunde, uns Informationen zuspielen oder vorfiltern. Zudem würde ich sagen, dass wir nicht von Kategorien wie „absolute Filterblase“ versus „keine Filterblase“ ausgehen sollten. Stattdessen sollten wir es als ein Informationskontinuum betrachten – von extrem heterogenem bis zu extrem homogenem Informations- und Nachrichtenkonsum. Wahrscheinlich irgendwo in der Mitte dieses Kontinuums liegen dann die meisten Personen mit ihrem Konsum. Ganz extrem wird es aber nur bei wenigen sein.

Dienen Twitch- und Youtube-Stars dazu, die eigene Meinung zu bestätigen?

Es geht im Allgemeinen darum, dass Informationsanbieter:in und -konsument:in passen. Grundsätzlich geht es Youtuber:innen nicht darum, die Meinung einer bestimmten Person zu verstärken. Ihnen ist vielmehr die eigene Meinung wichtig und Menschen, die diese Meinung teilen und ihnen dann auch folgen. Es geht also immer um ein Matching. Youtuber:innen sind nicht dazu da, Meinungen zu unterstützen. Aber sehr viele von ihnen tun ihre eigene Meinung kund, bestimmte Menschen sehen sich dann Content dieses*dieser Youtuber:in an und fühlen sich bestätigt.

Häufig wird argumentiert, das wir im echten Leben auch aktiv Wichtiges von Unwichtigem filtern. Internetdienste wie Google würden uns also das Leben erleichtern. Ist das so?

Im analogen Leben – genauso wie im Internet – filtern wir auch Informationen selbst. Eine gewisse Filterung, sowohl im analogen Leben als vor allem auch im Internet, durch uns selbst, durch Freunde, aber auch durch Algorithmen von Unternehmen ist ein Stück weit nötig. Ohne eine solche Filterung wären wir einer Informationsflut ausgesetzt, mit der wir nicht umgehen könnten. Ich denke zudem, dass diese Informationsfilterung in einigen Bereichen durchaus positiv zu bewerten ist: Wenn sich eine Person für Fussball interessiert, möchte sie auf ihrem Social-Media-Newsfeed nicht unbedingt sehen, wer im Eiskunstlaufen Olympia gewonnen hat. In solchen Bereichen ist es meines Erachtens positiv, dass Informationen vorgefiltert werden. Genauso ist es beim Streaming von Filmen. Hier freuen wir uns auch über neue Film- oder Serienvorschläge, die tatsächlich passend sind. Eine Filterung basierend auf Algorithmen ist also nicht grundsätzlich als schlecht zu bewerten.

Das kann zur Folge haben, dass die Person nicht mehr damit umgehen kann, dass es andere Meinungen überhaupt gibt“

Können diese Mechanismen eine gesellschaftlichen Fragmentierung, Polarisierung oder Radikalisierung beeinflussen?

Problematisch kann es werden, wenn wir uns mit politischen Themen auseinandersetzen wollen. Wenn politische Informationen so vorgefiltert werden, dass sie der eigenen Meinung nicht widersprechen, befürchten Expert:innen, dass es zu einer Polarisierung und Verstärkung oder Extremisierung von Meinungen kommen kann. Wenn eine Person immer wieder hört, was ihrer eigenen Meinung entspricht, kann diese Person möglicherweise davon ausgehen, dass diese Meinung absolut korrekt und unumstritten sei. Die Person könnte davon ausgehen, es gäbe nur die eigene Meinung und sie würde so immer wieder rückbestätigt werden. Das kann zur Folge haben, dass sich diese Meinung bestärkt und die Person nicht mehr damit umgehen kann, dass es andere Meinungen überhaupt gibt. Im Extremfall wüsste die Person nicht einmal mehr, dass es andere Meinungen gibt, weil sie einfach nicht mehr daran gewöhnt ist, sich damit auseinandersetzen zu müssen. Inwieweit aber tatsächlichZusammenhänge zwischen Informationskonsum und politischer Meinungsbildung und Polarisierung, bestehen, ist bislang nicht eindeutig.

Algorithmen von Google und Co. werden wir in naher Zukunft wohl nicht einsehen können“

Wie ließe sich Autonomie und Transparenz für Nutzer:innen herstellen?

Ich habe von Studierenden gehört, dass es mittlerweile Add-ons für Internetbrowser gibt, die im Hintergrund verschiedene Internetseiten aufrufen. Sie sollen dafür sorgen, Algorithmen auszutricksen, sodass diese kein Profil mehr von der Person erstellen können, über das sie dann wiederum Vorschläge unterbreiten. Inwieweit solche Add-ons sinnvoll sind oder nicht, kann ich aktuell leider nicht bewerten, da ich noch keines davon selbst ausprobiert habe. Vielleicht können sie auch nervig werden, wenn keinerlei passende Informationen mehr angezeigt werden. Darüber hinaus haben einige Wissenschaftler:innen Add-ons entwickelt, die Personen anzeigen sollen, wie sie sich informieren – also beispielsweise eher konservativ, liberal oder sehr ausgewogen. Für den englischsprachigen Raum wurden sie bereits getestet. Sie können helfen, sich selbst besser einzuschätzen. Algorithmen von Google und Co. werden wir jedoch in naher Zukunft wohl nicht einsehen können. Zum einen, weil es zu den Geschäftsgeheimnissen der meisten Internet-Plattformen zählt, wie genau sie funktionieren. Zum anderen sind sie sehr wahrscheinlich hoch komplex und lassen sich nicht auf zwei Sätze herunterbrechen. Es ist also fraglich, ob die meisten Menschen sie überhaupt verstehen würden.


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Interview: Nina Hensch

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