Das Schloss Augustusburg in Brühl ist nicht nur architektonisches Weltkulturerbe mit einem unglaublichen barocken Treppenhaus, es ist auch Heimat der dortigen Schlosskonzerte, überwiegend aufgeführt auf der Ebene zwischen beiden Treppenteilen. Da passen allerdings mal gerade gut 20 Musiker hin, für den Dirigenten gibt es ein kleines Podest, damit er nicht hinterrücks die Treppe runterpurzelt. Neben einem fast ganzjährigen Programm steigt im August das Haydn-Festival, dies immer mit einer der vielen, zum Teil sehr selten aufgeführten Opern aus dem reichen Oeuvre des Zeitgenossen von Mozart.
Beide hatten ein Werk zu den damals beliebten Türkenopern beigesteuert, nur hinkte Mozart mit seiner „Entführung aus dem Serail“ dem befreundeten Haydn um acht Jahre hinterher. Auch Rossini trug 1814 mit seinem phänomenalen Lustspiel „Il turco in Italia“ zum Zeitgeschmack bei; man denkt hier auch an Mozarts „Alla turca“ in der A-Dur-Sonate oder Haydns „Militärsinfonie“ mit Janitscharen-Musik. Letzterer hat in seinem Lustspiel „L’incontro improvviso“ auf abendländische Akteure ganz verzichtet und den Stoff an den Plot von Glucks komischer Oper „Die Pilger von Mekka“ angelehnt.
Die Geschichte spielt auch nicht in der Türkei, sondern in Kairo. Und natürlich gibt es wie bei Mozart ein junges Liebespaar, einen verständnisvollen Herrscher, allerlei Intrige und viel orientalisches Kolorit. Dabei ist die Handlung eigentlich Nebensache und muss hier nicht ausgebreitet werden. Nach allerlei Wirren wie üblich bekommen sich die Liebenden, nachdem man sich vorher der Sauferei und Völlerei hingegeben hatte. Verpackt in ganz wunderbare Musik, prachtvoll dargeboten vom Hausorchester der Brühler Schlosskonzerte der Capella Augustina, unter dem künstlerischen Leiter und Haydn-Spezialisten Andreas Spering. Dazu ein hochklassiges Sängerensemble, wie es sondergleichen sucht, alles im barocken Ambiente, und mit der Vorfreude auf das nachfolgende Höhenfeuerwerk im Schlosspark. Besser geht es eigentlich kaum.
Selbst für eine konzertante Aufführung mit acht Sängern ist im Treppenhaus sehr wenig Platz; so war ein eifriges Treppauf und -ab vonnöten, da die Handlung, soweit man davon überhaupt sprechen kann, auch auf den Treppen und dem oberen Podest ablief. Und da nicht nur für die Ohren, sondern auch fürs Auge etwas geboten sollte, hat Spering viele Positionswechsel, ein sehr reges Minen- und Gebärdenspiel und allerlei nette, kleine Gags eingebaut. Wenn man sich auch fragt, warum der untere Teil der Treppe nicht in die Aufführung mit einbezogen wurde: Das dürfte an der Kommunikation mit dem Dirigenten scheitern. Der drehte sich zwischendurch zum Publikum und sang die Rolle des dritten Derwischs selbst. Auch die Idee, zur Arie des Ali über die „betrunkenen Fiedler“ beim Bankett die Violinen voll schräg spielen zu lassen, ist entzückend. Und um zur Beendigung der Pause das Publikum der ebenfalls ausverkauften zweiten Vorstellung per Bläserfanfaren aus dem Fenster wieder hineinzubitten erfolgte nicht im Gedenken an Wagners Bayreuth, sondern schlichtweg aus Zeitnot, da das Feuerwerk, choreografiert von Helmut Reuter, Weltmeister seiner Branche, pünktlich anfangen sollte.
Pünktlich hatte auch die Vorstellung begonnen, die kantige Ouvertüre in frischem Tempo, mit blendenden Naturhörnern und -trompeten. Reizvoll auch die Paukerin Bärbel Hammer, die vielbeschäftig quasi als Perkussionistin ihrem Namen alle Ehre machte. Thomas Wormitt hingegen sorgte am Cembalo für geordnete Ruhe im Ensemble. Der Zeitnot war es vielleicht geschuldet, dass Spering alle Versuche des begeisterten Publikums auf Zwischenapplaus rigoros überspielen ließ – schon schade, da eine akklamatorische Entladung der aktuellen Verzückung das Musikerlebnis einer Nummernoper schon reduziert.
In der gesehenen zweiten Vorstellung war ein blendend präpariertes Orchester mit rauschhafter Musik aus einem Guss zu erleben. Einfach nur toll und ein dickes Kompliment an Spering, der sein „Kind“, die Capella Augustina, über Jahre immer wieder zu Höchstleitungen führte. Kein Wunder, dass kaum Karten zu bekommen sind, es sei denn, man wird für kleines Geld Mitglied im Förderverein.
Jede Oper lebt von ihren Sängern, und auch hier zeigt sich der Ruf von Spering, aus einem reichen Fundus schöpfen zu können. Alle voran begeisterte der Österreicher Rafael Fingerlos als Calandro mit seinem überaus prachtvollen, ausdrucksstarken Bariton und seinem exzessiven, überragendem Spiel. Die drei Damen (Robin Johannsen als höhensichere Rezia, Berit Norbakken Solset als interessante Balkis und Sophie Harmsen als geheimnisvolle Dardane) passen perfekt in den Abend, sowohl stimmlich wie auch szenisch mit wunderbaren Stimmen und rollentypischem Spiel. David Fischer gab einen köstlichen, ausdrucksstarken Osmin, Juan Sancho als Ali steigerte sich im Laufe des Abends deutlich. Henning Jendriza und Christoph Maletzko als Subalterno, Offizier und Sultan sangen und spielten perfekt.
Es war schon ein ganz großer Abend, diese selten gespielte Haydn-Oper vor und in dieser Kulisse mit diesen Künstlern. Da vergisst man total, dass nur vom Blatt gesungen wurde, was bei lediglich zwei Aufführungen durchaus verständlich ist. Als Zusatzschmankerl dann das Feuerwerk unter wolkenlosem Firmament, synchron begleitet vom Neuen Rheinischen Kammerorchester unter Gerhard Peters mit Händels Feuerwerksmusik.
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