Es ist eine Premiere in der über 20-jährigen Geschichte des Wolfgang-Hahn-Preises. Erstmals wird diese Auszeichnung geteilt, die die Gesellschaft für Moderne Kunst am Museum Ludwig an etablierte, aber noch nicht hinreichend gewürdigte Positionen verleiht. Aber in der Auswahl der beiden Künstler steckt Konsequenz. R. H. Quaytman und Michael Krebber gehören in etwa der gleichen Generation an, sie beschäftigen sich – auch theoretisch und publizistisch – mit vergleichbaren Fragestellungen, in deren Mittelpunkt das Medium Malerei steht, und sie haben mit Daniel Buchholz sogar denselben Galeristen. Und noch etwas eint die Werke beider Künstler: Sie sind ziemlich sperrig. Michael Krebber malt Bilder, die auf den ersten Blick so lapidar aussehen, dass man ihren Status als „fertiges“ Kunstwerk anzweifeln könnte. Und Quaytman realisiert Bilder, bei denen nicht sicher ist, ob es sich überhaupt um Malerei handelt und nicht um technisch produzierte Oberflächen. Tatsächlich aber praktizieren Beide einen ausgesprochen exquisiten und aufwändigen Umgang mit ihren Materialien. Dabei ist den Werken die kritische Reflexion darüber eingeschrieben, wie Malerei heute noch aussehen kann: in Jahren, in denen die Möglichkeiten des Mediums ausgereizt scheinen und dieses als Überbleibsel aus alter Zeit verstanden werden könnte. Oder wie Yilmaz Dziewior bei der Pressekonferenz gesagt hat: Die gemeinsame Ausstellung verhandelt „die Unmöglichkeit der Malerei“.
Bei Michael Krebber, der 1954 in Köln geboren wurde und im dortigen vitalen kulturellen Klima aufgewachsen ist, beruht seine Beschäftigung mit der Malerei auch darauf, dass er früh Sigmar Polke im Atelier kennengelernt hat. Er hat dann bei Markus Lüpertz an der Karlsruher Kunstakademie studiert und war bei Georg Baselitz und bei Martin Kippenberger Assistent. Wie kann man da noch – im Wissen um die Verfahren des Zulassens und des Verweigerns ausgetretener Pfade – selbst eine eigene Handschrift entwickeln? Krebber entwickelt eine Haltung zur Malerei, mit den Mitteln einer Malerei, die sich in ihrer mehrschichtigen Abstraktion und ihren diskreten Referenzen mehr entzieht als zu erkennen gibt. R. H. Quaytman, die 1961 in Boston geboren wurde und in New York lebt, verweist für ihre Arbeit auf die Zeit um 2000 in New York, als sich dort alle Diskurse um die Malerei bündelten. Ihre Kunst ist extrem systematisch und analytisch angelegt. Statt von Werkgruppen spricht sie von Kapiteln. Sie verbindet formalistische Ansätze mit einer spirituellen Ästhetik der Kunstgeschichte des frühen 20. Jahrhunderts. Ihr Interesse an konstruktiven Tendenzen kehrt in den Linienrastern wieder, die oft wie Webmuster durch ihre Darstellungen schneiden. Durch die faktische Riffelung wirken diese Bilder je nach Standort anders und oszillieren zwischen monochromer Silhouette und Farbraum. So ist in der Kölner Ausstellung mit einem Unschärfe-Schleier Paul Cézannes Gemälde „Die Trunkenbolde“ reproduziert, das im Tel Aviv Museum hängt, wo Quaytman demnächst eine Einzelausstellung hat. Bei anderen Bildern verwendet sie dann Motive aus der Malerei von Michael Krebber und nimmt so den direkten Dialog mit ihm auf. Überhaupt erweisen sich alle Bilder beider Künstler als intensive Verdichtung von Kunst. Und die Ausstellung ist nicht mit der Ausstellung zu Ende: Dass mit dem Preis überhaupt eine für Wandlungen offene Reflexion der Malerei gewürdigt wird, teilt noch die Umgebung im Museum Ludwig mit. Direkt vor dem Bereich von Krebber/Quaytman werden Werke aus unterschiedlichen Phasen von Gerhard Richter präsentiert, und derzeit ist hier auch die Retrospektive von Sigmar Polke zu sehen. Es lebe die Malerei!
Michael Krebber, R. H. Quaytman – Wolfgang-Hahn-Preis 2015 | bis 30.8. | Museum Ludwig | www.museum-ludwig.de
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