Er beschimpft sie als verspannte Krampfader, sie attestiert ihm ein Schrumpfgehirn und nennt ihn Mülltrennungs-Hitler. Das ist der Beginn einer zweistündigen Tour de Force in Sachen Geschlechterkampf, bei der die Fetzen fliegen. „Küss langsam“, heißt die von Michael Ehnert geschriebene Action-Komödie, in der sich – fast – alles um den Aufstand der Hormone dreht. Hinter den Akteuren Ehnert vs. Ehnert, die sich das vielschichtige Match liefern, stecken die großartigen, einander ebenbürtigen Schauspieler Jennifer und Michael Ehnert aus Hamburg, die auch im „wirklichen Leben“ ein Paar sind.
In dem Stück stehen sie vor dem Aus ihrer Beziehung. In zwei Stunden ist ihr Termin beim Scheidungsrichter – nach drei Ehejahren, in deren Verlauf die Liebe am Einerlei des Alltags zerbröselt ist. Sie findet ihn nur noch so aufregend wie einen Verkehrspolizisten, er bescheinigt ihr, alles zu besitzen, was eine Frau unerträglich macht. Dabei hat er sich doch so viel Mühe gegeben mit ihr, hat einen Menstruationskalender angelegt, ständig neue Kosenamen wie Chefmaus und Traumschatz erfunden, um sie gnädig zu stimmen. Sie garantiert ihm süffisant, einen ausreichend großen Penis zu haben und klagt über ihre gefühlten Defizite. Kurz: Beide sortieren die Scherben einer Beziehung, die so vielversprechend bei den Dreharbeiten zu einer Vorabendsoap begonnen hat.
Darin spielte sie eine investigative Journalistin, die herausgefunden hat, dass Atommüll unter der Elbphilharmonie gelagert werden soll, was die Kosten des Baus um das Dreifache in die Höhe getrieben hat. Er mimte einen schlichten Bullen, der die toughe junge Frau vor den Spezialeinheiten, die hinter ihr her sind, beschützen soll. Die geschickt eingeflochtenen filmischen Elemente wie ohrenbetäubendes Kugelhagel-Getöse und furiose Lichtgewitter bilden die zweite Ebene der Handlung: Rückblenden auf die Vergangenheit, in der sich die Gegenwart spiegelt. Der filmreife Kuss am Ende der mit Pointen, Fakten und Bühneneffekten gespickten, von Martin Blau präzise in Szene gesetzten Komödie täuscht nicht darüber hinweg, dass hier zwei am Abgrund stehen – ein Stück, das sich jenseits kabarettistischer Nullachtfünfzehn-Ware zu einem furiosen Tableau aus minutiös gezeichneten Figuren und inhaltlicher Tiefenschärfe entwickelt – eine Offenbarung für alle, die schon immer wissen wollten, wie Liebe geht (am 21. April in der Comedia).
Rätsel gibt dagegen der diesjährige Prix Panthon auf, der vom 24. bis 26.4. im neuen Casino des Pantheon stattfindet, eine Spielstätte, die wesentlich weniger Plätze bietet als das Stammhaus. Die Verantwortlichen des Westdeutsche Rundfunks, der den Wettkampf seit Jahr und Tag überträgt, werden sich etwas dabei gedacht haben. Wesentlich rätselhafter erscheint der neu ausgelobte Preis namens „Geben & Nehmen“.
Mit der als „Wohltäterpreis“ apostrophierten Auszeichnung – jetzt kommt's – sollen diejenigen ausgezeichnet werden, „die dem moralischen Anspruch der Kabarettisten dadurch Ehre machen, dass sie sich beim Wort nehmen lassen und sich auch privat tatkräftig für die Rechte und das Überleben von Verfolgten und Unterdrückten einsetzen“. Hmm. Wie jetzt? Müssen Kleinkünstler in Zukunft Spendenquittungen und Benefizvorstellungs-Belege sammeln? Man sieht es förmlich vor sich, wie die Mutter Teresa unter den notorischen Querulanten geehrt wird: „Er hat alles gegeben, seine Gage für den Auftritt in Wattenscheid ging ohne Abzüge an die notleidenden Kinder in Eritrea.“ Ohne Quatsch: Ist eine derartige moralische Inspektion nicht eine besonders perfide Idee? Das fragt sich ernsthaft die Ihnen stets ergebene
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