Die Multimedia-Performance mit dem vielbedeutenden Namen „Drapetomania“ beginnt mit der hektischen Atmosphäre eines Flughafens, der dort zu vernehmenden Geräuschkulisse sowie einer Boarding-Tafel. Dazu die Ansage: „On time, not on time. Please approach to gate XY...“ Von Anfang wird der Zuschauer somit metafiktional in das Spektakel hineingezogen. Ob er nun möchte oder nicht. So kommt jener nicht ganz umhin, gelegentlich etwas nervös und irritiert auf die Tafel zu starren, um zu prüfen, ob „sein“ Flug bereits abhebt beziehungsweise ob diese Show, die sich ebenfalls auf der Tafel befindet, nun wohl bald beginnt. Alsbald stürmen drei Personen in lustiger Flugbegleiter-Kleidung die Bühne, und das ironisch-groteske Show-Event beginnt. Dann erhebt Sängerin Nova Ruth ihre gewaltige Stimme. Mal leicht orientalisch, mal afrikanisch, dann brasilianisch anmutend, singt sie regelrechte Arien, während im Hintergrund alles Schlechte dieser Welt via Videoperformance herunterkracht: Donald Trump, jegliche Diktatoren dieser Welt, überfüllte Flüchtlingsboote, Arbeiter, die nicht mehr arbeiten wollen und stattdessen mutig das Feld verlassen, Naturkatastrophen, Hochhäuser, Maschinen fliegen an einem vorbei.
Das seit sieben Jahren zusammenarbeitende Multimedia-Duo Filastine & Nova, bestehend aus dem amerikanischen, heute in Barcelona lebenden Videokünstler, Komponisten und Produzenten Grey Filastine und der aus Indonesien stammenden Musikerin und Rapperin Nova Ruth, die neben dem Gesang auch ab und an zur Triangel greift, auf der sie leidenschaftlich herumhackt, hat es sich zur Aufgabe gemacht, mittels großartiger Klang- und Videoinstallationen das Feld der leider oft zu braven Weltmusik mit politischem Aktivismus anzureichern und erfolgreich zu entgrenzen. So ist auch der Name ihres neuen Werks eine Anspielung auf die heute natürlich als rassistisch geltende sogenannte „Sklavenkrankheit“, deren Drang, flüchten zu wollen, von Weißen damals als „Drapetomanie“ bezeichnet wurde.
Die Virtuosität ihrer Performance, vorgestellt im Rahmen der Pluriversale VII, liegt in der äußerst gelungenen Kombination aus lauten dröhnenden Techno-Dubstep-Beats, die durch die Studiobühne fliegen und ins Ohr knallen, haargenau dazu passend geschnittenen ironisch-kritischen Videoinstallationen, der sehr beeindruckenden Stimme Nova Ruths sowie einer grandiosen Tanzperformance der extrem beweglichen und energischen Tänzerin. Alles in einem sehr schnellen Tempo, so dass es kein Entkommen gibt. Ganze zwei Jahre bereiten sich Filastine & Nova im Schnitt auf ihre politisch motivierte Performance vor, und die Detailgenauigkeit kann man spüren.
Den Höhepunkt bildet ein konsumkritischer doppelter Einkaufswagentanz: Im Hintergrund sind mehrere reale Caddies auf der Leinwand zu erkennen, die von Schwarzen durch die Straßen gefahren werden und die sich schließlich – ob aus Langeweile, aus Spaß oder tatsächlich aus Konsumkritik heraus – zu einem Einkaufswagen-Rap formieren. Videokünstler Filastine knüpft an diesen visuellen Tanz an, indem er – real – ebenfalls auf einem Einkaufswagen herumschlägt, den er zum Schlagzeug umfunktioniert, so dass sich die ganze Studiobühne in einen einzigen Einkaufswagen verwandelt. Fiktion in der Fiktion sozusagen. Oder Realität in der Realität. Konsumkritik zum Anfassen eben.
Zum krönenden Abschluss wird das Publikum schließlich am Ende mit unter eine Decke gezerrt. Fröhlich weiter trommelnd marschieren Filastine & Nova sogar durch jenes hindurch, dieses erneut integrierend. Näher dran am Zuschauer geht es wohl nicht.
Dem Publikum scheint das politisch motivierte Multi-Media-Konzert jedenfalls gefallen zu haben, so hört der Jüngling neben mir gar nicht mehr auf, sein Bein rhythmisch in den Raum hineinzuschleudern und undefinierbare Geräusche von sich zu geben. Konsumkritik im psychodelischen Punk-Ethos scheint ansteckend zu sein.
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